Joachim Zelter, Wiedersehen

Was mag da Aufregendes herauskommen, wenn in Tübingen eine Novelle gedruckt wird, worin zwanzig Jahre nach der Matura sich Lieblingslehrer und Lieblingsschüler treffen und beide als Germanisten unterwegs sind?

Joachim Zelter lässt gar keinen Zweifel aufkommen, mit der Novelle will er eine zickige Begebenheit abgeklärter Menschen beschreiben, die alles schon erlebt haben und daher nichts mehr erleben wollen. „Wiedersehen“ geht von der Konstellation aus, die im Schulbetrieb immer wieder vorkommt: nach der Schule wird diese verklärt und die ehemaligen Lehr-Sonderlinge werden zu Göttern.

Der Deutschlehrer Thorsten und sein ehemaliger Schüler Arnold arbeiten an dieser Verklärung, indem sie jahrelang ein Wiedersehen ins Auge fassen und vor sich her schieben. Sie halten losen Briefkontakt und wärmen immer wieder tolle Sachen aus der Vergangenheit auf. Nach zwanzig Jahren ist die Zeit aber wirklich reif für eine echte Begegnung.

Doch kaum ist das Treffen beim alten Wunderwuzzi der Germanistik fixiert, tauchen schon die ersten Ungereimtheiten auf. Der Schüler will seine Freundin mitnehmen, dabei stellt sich heraus, dass ohnehin alle Lieblingsschüler aller Jahrgänge eingeladen sind. Die Reinheit des Treffens ist also schon vor der Realisierung getrübt.

Und dann stehen wie in einer Novelle edle ehemalige Schüler und Schulmeister umeinander herum. Schöne Zitate fallen, die Fiktion ist ein Weg der Wahrheit etwa. (23) Pointen aus der Schulzeit werden zu Cinemascope-Gebilden aufgeblasen, der Lehrer ist mit der Dogge damals zum Unterricht erschienen und hat seinen Lieblingswitz erzählt, seine Leber sei fit wie jene des Prometheus, weshalb er locker weitersaufen könne.

Jetzt soll Arnold einen Vortrag halten, von dem er nichts weiß. Aber da kommt ihm die Germanistik zugute, denn in der Germanistik gibt es keine Situation, wo nicht jemand sofort ein Referat halten könnte. In der Germanistik sind immer alle im Vortragsmodus. (81) Der semi-spontane Auftritt geht zwar ordentlich schief und Arnold ist über den Scheiß irritiert, den er gerade abgeliefert hat, aber dann gibt es umso besseren Gesprächsstoff, denn über nichts lässt sich so gut reden wie über einen miesen Vortrag.

Die Freundin unterhält sich vortrefflich mit den Herumsteh-Feinden und erfährt vielleicht Dinge, die ihr Arnold niemals hat sagen wollen. Überhaupt geht der Abend nicht nur wegen des Alkohols ziemlich ins Amorphe, wiewohl alles zitiert wird, was Klang und Namen hat.

Allmählich nähert sich die Novelle der moralischen Zusammenfassung: Wärme nie etwas auf, was du einmal für schön empfunden hast! Wahrscheinlich eine geheime Leseempfehlung, schöne Erlebnisse nicht durch Wiederlesen zu zerstören. - Irgendwie hölderlinisch Turm-verschmitzt das Ganze.

Joachim Zelter, Wiedersehen. Novelle
Tübingen: Köpfler und Meyer Verlag 2015, 126 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-86351-400-6

 

Weiterführende Links:
Köpfler und Meyer Verlag: Joachim Zelter, Wiedersehen
Wikipedia: Joachim Zelter

 

Helmuth Schönauer, 27-07-2015

Bibliographie

AutorIn

Joachim Zelter

Buchtitel

Wiedersehen

Erscheinungsort

Tübingen

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Köpfler und Meyer Verlag

Seitenzahl

126

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-86351-400-6

Kurzbiographie AutorIn

Joachim Zelter, geb. 1962 in Freiburg/Breisgau, lebt in Tübingen.