Lenz Koppelstätter, Die Stille der Lärchen
Die unbarmherzig zupackende Krimiwelle zwingt die Autoren dazu, den letzten Tropfen Sinn aus dem literarisch anvisierten Land zu quetschen. Denn wenn irgendwo wirklich alles schon mehrmals gesagt worden ist, dann im Reich der Krimis.
Lenz Koppelstätter wehrt sich gegen das „Alles schon Erzählte“ mit seinem intelligenten Commissario Grauner, der wie im Krimi nicht unüblich intelligenter ist als sein Publikum. Er ist eigentlich mit Hingabe Viehbauer und macht die Kriminalfälle nur, weil er beim Staat angestellt ist. Weitum bekannt ist er für seine Mahler-Symphonien, die er während der Stallarbeit zur Erbauung der Kühe abspielt. Ihm zur Seite steht der Neapolitaner Saltapepe, der sich schon nach einem einzigen Fall perfekt in Südtirol eingelebt hat und innig nach einem weiteren Fall giert.
Und dieser Fall kommt pünktlich schon auf den ersten Seiten der „Stille der Lärchen“: Im Ultental wird die siebzehnjährige Marie erschossen aufgefunden, ein zugezogener und deshalb unbeliebter Architekt ist zufällig anwesend und gesteht. Eigentlich könnte alles erledigt sein.
Aber ein Krimi kann nicht nach fünfzehn Seiten fertig sein, auch wenn er es vielleicht ist. Jetzt wird einmal Grauner aus dem Stall geholt und ins entlegene Tal geschickt. Die Leiche wird obduziert und es interessiert alle bloß, ob sie schon mal hat, und sie hat schon mal, sagt der Obduzent, der gerade den Geschlechtstrakt untersucht hat. (69)
Der Fall nimmt endgültig Fahrt auf. Der Architekt macht wirklich einen diffusen Eindruck, weshalb der Pfarrer auch verlangt, dass man ihn ausliefert, damit er ihm den Satan austreiben kann. Der Sohn des Architekten ist psychisch schwer gestört und unberechenbar. Sein Psychiater liebt Rennpferde und ist auch unberechenbar. Allmählich gesellen sich noch der Hauptunternehmer des Tales und der Bürgermeister hinzu, sie wollen vor allem das Ultental als Wellness-Tal wiederbeleben und greifen zu allerhand Tricks.
Stimmt, es werden in der Nähe der Leiche seltsame Schriften gefunden, die auf Thomas Mann zurückgehen sollen, der einmal im Ultental gebadet hat. Literarisch Gebildete haben sicher Interesse, im Ultental unter den berühmten Lärchen ein Bad im Geiste Thomas Manns zu nehmen.
Es kommt ans Tageslicht, was in solchen Tälern üblich ist. Seit Jahrhunderten sind die Sippen verfeindet, kaum bewegt sich jemand, um etwas auf die Beine zu stellen, weckt er auch schon wieder böses Blut bis hin zur Blutrache. „Es sind die Menschen, nicht die Täler“, fasst Grauner die Lage immer wieder klug zusammen. Der Fall erfährt noch so manche Wendung und Aufklärung, was aber hier aus kriminaltechnischen Gründen nicht erzählt werden darf.
Lenz Koppelstätter lässt viel Chronik und Zeitgeschichte in den Fall fließen. Allein die ewige Konkurrenz zwischen Meran und Bozen ist ihm fast einen Essay wert. (55)
An anderer Stelle werden alle Dichter gefeiert und aufgezählt, die jemals einen Fuß nach Südtirol gesetzt haben. (189) Und zwischendurch ist die pragmatische Art des Grauner, seine Arbeit intellektuell zu erledigen, durchaus ermunternd. Auf den Umschlaginnenseiten sind wieder wie beim Karl May die Orte der Handlung auf einer Landkarte eingetragen, die man touristisch abreiten kann.
Lenz Koppelstätter, Die Stille der Lärchen. Ein Fall für Commissario Grauner. Ein Krimi aus Südtirol
Köln: Kiepenheuer & Witsch Verlag 2016 (= KiWi 1516), 303 Seiten, 10,30 €, ISBN 978-3-462-04734-9
Weiterführende Links:
Kiepenheuer & Witsch Verlag: Lenz Koppelstätter, Die Stille der Lärchen
Homepage: Lenz Koppelstätter
Helmuth Schönauer, 02-11-2016