Renate Scrinzi, Und Emilio lächelt

Auszählreime sind oft die beste Struktur, um ein raffiniertes Menschenschicksal darzustellen.

Renate Scrinzi stellt ihrem Roman „Und Emilio lächelt“ eine markante Faustformel des legendären tschechischen Langstreckenläufers Emil Zátopek voran: „Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft.“ (5)

Was so klar klingt, dass selbst Kinder darüber große Augen machen, wird aber kompliziert, wenn sich Menschen an diese Konzeption halten.

Im Italien der Besatzungszeit durch die Deutsche Wehrmacht kommt es zu einer beinahe selbstverständlichen Liaison zwischen einem deutschen Offizier und einer schönen italienischen „Meeresfrau“, es wird in Innsbruck geheiratet und schon kommt Emilio auf die Welt.

Der Vater inszeniert am Ende des Krieges seinen sogenannten Heldentod, das heißt er lässt ausrichten, dass er gefallen sei, weil ihm die Kriegsbeziehung über den Kopf gewachsen ist.

Emilio wächst als sonniges Kind heran, seine seltsame Entstehungsgeschichte überstrahlt er mit einem Lächeln, das die Welt zum Schmelzen bringt. Dennoch plagt ihn eine seltsame Sehnsucht nach dem Mädchen in dem weißen Kleid, diese Sehnsucht fährt ihm ins Herz und wieder hinaus. (85)

Offensichtlich ist es seine geheimnisvolle Seelenverfasstheit, die ihn dazu treibt, das deutsche Mädchen Gertrud zu heiraten, seine Mutter ahnt Schlimmes und kommt nicht zur Hochzeit.

In München kommen völlig selbstverständlich Emilios Zwillinge zur Welt, aber das Lächeln vergeht ihm, denn die Ehe ist ab diesem Augenblick erledigt. Nach einem Ekelrausch am Münchner Oktoberfest, packt er seine Hormone ein und flieht über den Brenner wieder zurück in seine Heimat Italien.

Nach einem Sturz über eine Treppe wird in einer Gedächtnisambulanz versucht, Emilios Verstörung zu sanieren, aber irgendwo schlägt immer wieder das Bild von einem Mädchen mit einem weißen Kleid durch.

Was tun Emilio, was aber tun, wenn die Erinnerung an das eigene Leben plötzlich von einem Tag auf den anderen ausgelöscht und die eigene Biographie verschwunden ist? (108)

Erlösung gibt es erst, als sich in einem Halbtraum das Mädchen zu einer gereiften sechzigjährigen Frau verwandelt, die sich dem lächelnden Helden zuwendet.

Renate Scrinzi erzählt in beinahe märchenhaftem Ton von der Begegnung verschiedener Kulturkreise, die zumindest in der individuellen Biographie nicht harmonieren. Zwischen Mann und Frau stecken über Generationen diese Sehnsuchts-Gene, die kein gemeinsames Leben ermöglichen. Selbst das zutrauliche Lächeln zur Außenwelt hin kann nicht übertünchen, dass hinter dieser Fröhlichkeit oft eine gehörige Portion Fassungslosigkeit steckt. – Aus südtiroler Sicht steckt in diesem Roman natürlich auch eine Parabel vom Zusammenleben der Kulturen in einem Land.

Renate Scrinzi, Und Emilio lächelt. Roman.
Bozen: Edition Raetia 2012, 115 Seiten, EUR 10,- ISBN 978-88-7283-322-3.

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Renate Scrinzi, Und Emilio lächelt
Bücher-Wiki: Renate Scrinzi

 

Helmuth Schönauer, 27-04-2012

Bibliographie

AutorIn

Renate Scrinzi

Buchtitel

Und Emilio lächelt

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

115

Preis in EUR

10

ISBN

978-88-7283-322-3

Kurzbiographie AutorIn

Renate Scrinzi, geb. 1967 in Bozen, lebt am Ritten.