Susanne Preglau, Ani

Bei besonderen Schicksalsschlägen gleicht sich auch die Sprache der Struktur eines solchen Lebens an und wird dadurch über die Zeiten hinweg unverwechselbar.

Susanne Preglau hat im Sinne einer qualitativen Sozialforschung anhand der Biographie der aus Bosnien emigrierten Ani versucht, den üblichen Zahlen und Massenbewegungen ein Gesicht zu geben. Ani fährt 1971 mit sechzehn Jahren allein von einem entlegenen bosnischen Dorf nach Innsbruck und „Solbad Hall“, das Geld für den Aufbruch in ein neues Leben hat sie sich geliehen, Ani kann kein Wort Deutsch und kennt von weitschichtigen Verwandten nur die Wörter Fröschl und Swarovsky, dort soll es Arbeit geben.

Ani erzählt unter der Federführung von Susanne Preglau eine Lebensgeschichte voller Querschüsse und Einschläge. Die Sprache ist atemlos, die Sätze sind kurze Regieanweisungen für eine sonst nicht darstellbare Handlung. Im Flattersatz erscheinen die Äußerungen wie eine Litanei des Schmerzens. Manchmal schlüpfen auch Gefühle mit, wiewohl die Berichtende immer wieder versucht, während des Erzählens zu verstummen.

Die Eindrücke aus der Kindheit gehen der Protagonistin heute noch unter die Haut, im Tito-Land sind bereits lange vor dem Zerfall Jugoslawiens die späteren Gräben ausgehoben, selbst durch die entlegenste Dorfschulklasse geht der Riss der Ethnien.

Unter diesem Hintergrund ist es logisch, dass nur eine Emigration das Überleben sichert.

Viele Leute aus Brajkovici / haben damals in Tirol / in den Röhrenwerken in Hall / oder bei Swarovski in Absam / oder bei der Baufirma Fröschl gearbeitet. (28)

Ani arbeitet sich in Tirol tapfer durch das Leben, schickt das Geld sofort nach Hause. Spät heiratet sie einen Mann, der ebenfalls emigriert ist. Und ihre beiden Kinder kriegen keinen Boden unter die Füsse, die Tochter stirbt durch Suizid, der Sohn landet im Gefängnis, der Mann muss eine Auszeit in der Psychiatrie nehmen.

Brutal sind jene Stellen, wo Ani nach dem Jugoslawienkrieg ihr zerstörtes Elternhaus besucht, im Schutt siebt jemand Habseligkeiten heraus und versucht, vielleicht anhand einer übriggebliebenen Zahnprothese die Mutter zu identifizieren. Später muss Ani aus Leichen-Zeilen mögliche Verwandte herauslesen. An einem Hemd, das sie im Sill-Park gekauft hat, erkennt sie ihren ermordeten Bruder. - „Ich kann diesen Mördern nicht verzeihen“, fasst sie verbittert zusammen, es geht einfach nicht.

Susanne Preglau führt in einem Kommentar die wichtigsten Fakten zur Geschichte der Emigration zusammen, so haben sich jedes Jahrzehnt die Begriffe verändert, aus Ausländern wurden über Fremden und Gastarbeitern heute wieder Ausländer, in Gesetzgebung und Sprachgebrauch. – Ein berührender Essay über ein abgeschürftes Leben, beinahe in Echtzeit erzählt.

Susanne Preglau, Ani. Essay eines Lebens. Aufgezeichnet und mit einem Kommentar versehen von Susanne Preglau.
Innsbruck: Limbus 2013, (= Limbus Essay), 110 Seiten. EUR 10,-. ISBN 978-3-902534-68-2

 

Weiterführender Link:
Limbus-Verlag: Susanne Preglau, Ani

 

Helmuth Schönauer, 13-06-2013

Bibliographie

AutorIn

Susanne Preglau

Buchtitel

Ani. Essay eines Lebens

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Limbus-Verlag

Seitenzahl

110

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-3-902534-68-2

Kurzbiographie AutorIn

Susanne Preglau, geb. 1955 in Wien, lebt in Innsbruck.<br /> Ani, geb. 1954 in Jugoslawien, lebt seit 1971 in Tirol.