Konrad Rabensteiner, Der Befall

Buch-CoverEin ziemlich ungemütlicher Titel, Der Befall, erinnert an Maul- und Klauenseuche, wenn ganze Tierherden befallen werden. Und dabei ist es ein schöner, harmonischer, umfangreicher Roman.

Das erste, was auffällt, ist dieser lange Atem, mit dem durch die Jahrzehnte erzählt wird, das zweite ist diese natürliche Abfolge der Geschehnisse, worin alle Entscheidungen wie von selbst fallen, seien es die privaten oder die öffentlichen.

Der Plot dieser über tausend Seiten ist einfach wie das Leben. Von einem Südtiroler Bergbauernhof macht sich Daniel Steinknecht auf in die Stadt, ins Internat, schließlich an die Universität Trient, um Theologie zu studieren. Mehr oder weniger logisch wird er Priester und durchläuft einige Pfarreien. Auf den letzten hundert Seiten dieser Harmonie jedoch wirft es ihn aus der Bahn, mit einem formidablen Burnout endet er quasi gleichzeitig in der Psychiatrie und als Kaplan im Altersheim, da wird in der Kirche oft wenig Unterschied gemacht.

Äußerlich eingekleidet ist diese Geschichte, die wie ein Filmvorspann mit der Fahrt zur soeben verstorbenen Mutter beginnt, und durch deren Antlitz sich die Erinnerung einstellt, von den markanten Ereignissen der weiteren Zeitgeschichte, sei es die Dolomitenfront, seien es der Faschismus, Sigmundskron oder die Trennung der Diözesen Trient und Bozen.

Die Kapitel laufen als erzähltes Erlebnis ab, in das Briefe und Tagebücher eingeflochten sind. So ist etwa der Rom-Besuch ausgebaut wie ein Reiseführer für junge Theologen, während die Tour zur Theologie des Vatikanums nach München zu einem Großaufmarsch führt, worin die Stellproben für die Zeremonien oft länger dauern als die Zeremonien selbst.

Das Internat entpuppt sich naturgemäß als inszenierte Hölle, worin die Aufsichtspersonen ohne zu klopfen in die Zimmer stürmen und unsichtbare Pistolen der Bedrohung vor sich her schwenken. Selbst etwas Intimes wie ein Tagebuch wird in so einem Internat nicht geschützt und der Lächerlichkeit preisgegeben.

Dieses Motiv der ungeschützten Intimität zieht sich durch viele Erlebnisse und Ereignisse, der Protagonist ist ständig einer Autorität oder Bedrohung ausgeliefert, gibt es einmal ein schönes Erlebnis, wird es sogleich von einer patzigen Bemerkung eines Umstehenden verunglimpft. So ist es eigentlich fast logisch, dass sich Daniel Steinknecht nach seiner psychischen Erkrankung immer öfter zur Mutter flüchtet, eine embryonale Haltung einnimmt und diese Flucht fallweise mit theologischen Alltagsritualen unterlegt.

Als die Mutter stirbt, schließt sich der Kreis der Geborgenheit, die Geschichte ist vollendet.

Konrad Rabensteiner erzählt beharrlich zurückgenommen, die Figuren werden in ihrer Einzwängung in ihren Rollen gezeigt, aus denen es kein Entrinnen gibt. Die Dramaturgie dieses großen Romans ist dabei durchaus schlicht, eins kommt aus dem andern. Mit der Zeit entsteht beim Leser ein Gefühl für Zeit, Geschichte und Unendlichkeit. So ist vielleicht das echte Leben: zart, leicht provinziell, beinahe ereignislos, aber es braucht dennoch gut achtzig Jahre, bis man durch ist. Das ganze Leben ist vielleicht wirklich ein Befall.

Konrad Rabensteiner, Der Befall. Roman.
Bozen: Edition Raetia 2007. 1022 Seiten. EUR 38,-. ISBN 978-88-7283-279-0.

 

Weiterführende Links:
Edition-Raetia: Konrad Rabensteiner, Der Befall
Bücher-Wiki: Konrad Rabensteiner

 

Helmuth Schönauer, 01-07-2008

Bibliographie

AutorIn

Konrad Rabensteiner

Buchtitel

Der Befall

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

1022

Preis in EUR

38,00

ISBN

978-88-7283-279-0

Kurzbiographie AutorIn

Konrad Rabensteiner, geb. 1940 in Villanders, lebt in Bozen.