Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Prosa

Buch-Cover"Mein Innenleben wird immer summender, und ich muss das 'kategorische Kusch' immer neu verschärfen. Und das 'kategorische Kusch', das ich ihm an Konvenienz vor der Realität des Alltags öfter zurufen muss, bringt das Gegenteil von Dämpfung hervor. (267)

Manche Sätze winken schon von weitem ganz verrückt einem Leser zu und werden auch bei literarischem Gegenwind sofort als Herzmanovsky-Orlando erkannt, diese Sätze nämlich würgen voller Vielfalt den Leser, ehe dieser röchelnd zugibt, den Sinn verstanden zu haben.

Die Prosa-Sammlung Herzmanovsky-Orlandos strotzt nur so von ungeheuren Machenschaften, Figuren gehen verloren oder legen dem Publikum einen Hinterhalt, Adelige gehen unter der eigenen Ordenssammlung verschütt, die Geographie verändert, während sie abgeschritten und inventarisiert sind, ihre Lage und was auch nur einen Deut nach festem Boden aussieht, ist garantiert etwas Flüssiges, das alle Helden verschlingt, wenn sie darauf herum spazieren.

So hat etwa ein gewisser Yb nicht nur einen praktisch-kurzen und dennoch aufregenden Namen, er nennt sich auch Cavaliere Huscher, weil er nach einer komplizierten Geburt auf einer Reise nach Genua von Holden entführt und mit einem Huscher zurückgelassen worden ist. Noch Jahrzehntelang nach seiner Entführung denkt er darüber nach, ob er das Meer tatsächlich gesehen hat, denn am Strand hat man ihm einst bloß eine Kiste gezeigt, worin das Meer gerauscht hat.

In einer anderen Erzählung taucht ein konfuser Brief auf, in dem semantisch alles zu stimmen scheint, der aber einen höheren Sinn verbirgt, der auf den ersten Blick nicht zu knacken ist.

Soeben kam ich mittels eines Kompresszuges der Mordbahn hier in Wien an. (227)

An anderer Stelle versucht ein Eintags-Jäger ein vom vorigen Sommer stehengebliebenes Bein von einer Felsenspitze zu schießen. (237) Vergeblich: die Aufgabenstellung des Tages kann nicht bewältigt werden.

Mister Leuchtwurst trägt in seiner Erzählung ein seltsames Geheimnis vor sich her. Obzwar er eine überschaubare Dreizimmerwohnung bewohnt, geht er darin regelmäßig verloren. Auch dieses Mal wartet die Haushälterin stundenlang auf den Verschollenen, ehe dieser verschwitzt und halb verloren aus einem Zimmer seiner Wohnung wieder auftaucht, in diesen Zimmern muss offensichtlich Ungeheures passieren. (265)

Im Nachwort dieser sogenannten lesefreundlichen Ausgabe erklärt die Herausgeberin, dass man bewusst auf Anmerkungen und Fußnoten verzichtet habe, da es selbst der Fachfrau oft nicht möglich ist, den verschlungenen Kosmos an Anspielungen und Irrläufen zu dechiffrieren.

Was heutzutage vielleicht mit Suchmaschinen gelingt, war den Zeitgenossen Herzmanovsky-Orlandos kaum möglich, der Autor hat sich nämlich geheimnisvoller Lexika und Erotika bedient, um den Figuren ein halbwegs zerrüttetes Ambiente zu ermöglichen. Prosa - ein feiner Lesegenuss Marke FHO!

Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Prosa. Erzählungen und Skizzen. Hrsg. von Klaralinda Ma-Kircher.
St. Pölten: Residenz 2008. 347 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-7017-1502-2.

 

Weiterführende Links:
Wikipedia: Fritz von Herzmanovsky-Orlando
Residenz-Verlag: Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Prosa

 

Helmuth Schönauer, 04-11-2008

Bibliographie

AutorIn

Fritz von Herzmanovsky-Orlando

Buchtitel

Prosa. Erzählungen und Skizzen

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Residenz

Herausgeber

Klaralinda Ma-Kircher

Seitenzahl

347

Preis in EUR

24,90

ISBN

978-3-7017-1502-2

Kurzbiographie AutorIn

Fritz von Herzmanovsky-Orlando, geb. 1877 in Wien, starb 1954 in Meran.