Judith W. Taschler, Apanies Perlen

Am witzigsten wird die Literatur immer dann, wenn die Realität so kompakt ins Unwahrscheinliche verdichtet wird, dass man sie nur mehr mit Schmunzeln und Gelächter aushalten kann. Der von der Germanistik so geliebte Realismus kippt ins Sagenhafte, wenn sich auf jeder Seite eine neue Ungehörigkeit auftut.

Judith W. Taschler dreht in ihren vier Erzählungen heftig am Story-Rad, in immer schnelleren Episoden rasen dabei die Geschichte einem durchgeknallten Ende zu.

„Oskar oder Who the fuck is Waldheim?” erzählt eine Familiengeschichte, in der politisch überkorrekt mit der Waldheim-Ära aufgeräumt wird. Oskar heißt natürlich so, weil seine notgeschwängerte Mutter während der Schwangerschaft die Blechtrommel gelesen hat, nach der Geburt kommt Oskar zu Pflegeeltern und die Mutter hängt sich auf. Nach düsteren sexuellen Vorübungen im österreichischen Milieu reist der Held nach Amerika um seinen Großvater zu suchen, bei einer Gastfamilie kommt es zu sexuellen Höhepunkten, bei denen immer der Name Waldheim gerufen werden muss. Der Großvater stellt sich als österreichischer Nazi heraus, der als KZ-Scherge in Mauthausen gewütet hat und sich angesichts der späten Entlarvung literarisch pflichtgemäß in den Kopf schießt.

Was religiöses Getue letztlich anrichten kann, zeigt sich in der Geschichte „Bis der Tod uns scheidet“. Ein Autohändler fährt voll auf eine Frau ab, die besonders gut Auto fahren kann. Freilich hat sie einen religiösen Tick und will alles katholisch einwandfrei, weshalb sich der Lover streng an die Zelebration einer Messe hält und all sein Tun mit passendem religiösen Brimborium unterlegt. Als sich seine bisherige Ehe nicht kirchlich auflösen lässt, überfährt er seine bisherige Frau, aber auch als Witwer kommt er nicht weiter, weshalb er die Geliebte letztlich mit einem Bremsdefekt auf einen Baum rasen lässt und weiterhin ein guter Mercedesverkäufer bleibt.

Im „Worst case“ soll angeblich der Euro wieder abgeschafft werden, was zum Weltuntergang führen dürfte. Die Familie feiert daher die letzten Weihnachten und merkt bei dieser Gelegenheit, dass die Freundin des Stammhalters schwanger ist und im Freien steht.

Eine Perlenkette hat richtigerweise keinen Anfang und kein Ende, die Geschichte von „Apanies Perlen“ lässt die einzelnen Episoden wie einen Rosenkranz durch eine Abenteurerhand gleiten. Das Aborigine-Mädchen Apanie taucht an ihrem letzten Tag hundert Perlen aus dem Ozean und stirbt. Aus dem Perlen wird eine Kette geflochten, die allen Trägern Unglück bringt. Letztlich kommt die Kette auch nach Südtirol, wo sie ein Außenseiter aufisst, ehe er sich auf einer Lichtung zum Sterben hinlegt. Überall wo die Perlen gewesen sind, wachsen anschließend seltsame Blumen.

Judith W. Taschler erzählt mit sagenhafter Logik grenzgeniale Abenteuer, Familien-Kompositionen oder Alltagsbewältigungen. Was in einer Tageszeitung auf mehrere Kontinente als Schicksal aufgehäuft ist, erleben hier die einzelnen Personen am laufenden Band. In jeder Erzählung stecken die Handlungen eines ganzen Buchregals. Diese über-dichte Dramaturgie erweckt den Eindruck eines Comics, der sich Bild für Bild an die Realität angeschmiegt. – Genial.

Judith W. Taschler, Apanies Perlen. Vier Erzählungen.
Wien: Picus 2014. 183 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7117-2010-8.

 

Weiterführende Links:
Picus Verlag: Judith W. Taschler, Apanies Perlen
Homepage: Judith W. Taschler

 

Helmuth Schönauer, 03-02-2014

Bibliographie

AutorIn

Judith W. Taschler

Buchtitel

Apanies Perlen. Vier Erzählungen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Picus Verlag

Seitenzahl

183

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7117-2010-8

Kurzbiographie AutorIn

Judith W. Taschler, geb. 1970 in Linz, lebt in Innsbruck.