Der Streit um die Google Buchsuche

Nach der Veröffentlichung eines möglichen Vergleichs zwischen amerikanischen Autorenvereinigungen und der Firma Google ist das brisante Thema Buch- und Literatursuche versus Urheberrechte im Internet weltweit in den Mittelpunkt eines breiten Interesses gerückt.

Hintergrund der Auseinandersetzung ist der Umstand, dass die Firma Google 2004 damit begonnen hat, in großem Stil ohne Zustimmung betroffener Autoren und Verlage Buchbestände aus großen amerikanischen Bibliotheken einzuscannen und über eine Datenbank mehr oder weniger vollständig öffentlich zur Verfügung zu stellen. Bis heute dürften an die 7 Millionen Bücher aus amerikanischen Bibliotheken eingescannt worden sein, bis 2015 möchte Google 15 Millionen Bücher digitalisiert haben.

Amerikanische Autoren- und Verlegerverbände sahen durch die Aktivitäten der Firma ihre Urheberrechte verletzt und brachten eine Sammelklage gegen Google ein. Mittlerweile wurde in Amerika ein Vergleich zwischen den Parteien vereinbart, der sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf die Verhältnisse in Europa und Österreich auswirken wird. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis die Vereinbarung in den USA gerichtlich genehmigt und abgeschlossen sein wird. Der Vergleich betrifft alle Bücher, die bis zum 5. Mai 2009 von Google gescannt worden sind.

In Europa kam es bald nach Bekannt werden des Vergleichs zu einem Aufschrei der AutorInnen und der Literatur-Vermarktungsgesellschaften. Der Geschäftsführers der IG-Autorinnen Autoren in Österreich, der Schriftsteller Gerhard Ruiss, erklärte im Februar 2009 in einem Gespräch mit der APA:

Was hier noch niemand glauben kann, aber demnächst glauben wird: Dieser Vergleich betrifft nicht nur die USA, sondern weltweit alle Autoren und Verlage und: Es ist lückenlos die gesamte österreichische Literatur, von Handke über Bernhard bis zu allen Klassikern, in dieser Vergleichsliste enthalten. Google will sich dafür kollektives Gebrauchsrecht einräumen lassen.
Futurezone ORF, 13.02.2009: Ruiss: Google-Buchsuche stoppen

Google selbst bezeichnet den Vergleich mit den amerikanischen Autoren und Verlegerverbänden als bahnbrechende Vereinbarung mit Autoren und Verlagen. Auf der Internet-Site von books.google.com heißt es:

Heute geben wir voller Freude bekannt, dass diese Klage beigelegt wurde und wir eng mit diesen Branchenpartnern zusammenarbeiten, um noch mehr Bücher dieser Welt online verfügbar zu machen. Gemeinsam können wir weitaus mehr erreichen als jeder von uns im Alleingang, wovon Autoren, Verlage, Forscher und Leser gleichermaßen langfristig profitieren.
Google Book Search: Vergleich (23-04-2009)


Google hat sich zum Ziel gesetzt, die Informationen dieser Welt zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Die Methoden die bei der Digitalisierung von Büchern angewendet worden sind, haben mittlerweile auch in Europa zu Widerständen geführt.

 

In einer Mitteilung des zuständigen New Yorker Bezirksgerichts an die Autoren, Verleger und sonstigen Inhaber von Rechten auch außerhalb der USA heißt es:

Falls Sie als Buchautor, Buchverleger oder sonstiger Inhaber Urheberrechte an Büchern oder anderen Schriften besitzen, betrifft Sie möglicherweise der Class Action Settlement (Prozessvergleich) zur Digitalisierung von Büchern bzw. anderen Schriften seitens Google.

Achtung Autoren und Verleger außerhalb der USA: Der Vergleich kann sich auf Ihre Rechte auswirken. Bitte lesen Sie diese Mitteilung sorgfältig durch.
Mitteilung des Bundesbezirksgerichts für New York Süd zum Vergleich, S. 1

[...] Wenn Sie aus der Vergleichsgruppe austreten möchten und Ihre Rechte behalten wollen, Google und die teilnehmenden Bibliotheken zu verklagen, müssen Sie aktiv etwas unternehmen [...].Wenn Sie aus der Gruppe austreten, haben Sie kein Recht auf Bartantiemen und auf andere Beteiligungen an den Umsatzmodellen gemäß dem Vergleich. Sie erwerben damit jedoch das Recht, Ihre eigene Klage einzureichen.
Mitteilung des Bundesbezirksgerichts für New York Süd zum Vergleich, S. 27

 

Im deutschsprachigen Raum ist die Bayerische Staatsbibliothek als erste große Bibliothekseinrichtung eine Kooperation mit Googel eingegangen, die auch vom Freistaat Bayern begrüßt wird, wie der bayerische Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Dr. Thomas Goppel anlässlich der Vertragunterzeichnung am 6. März 2009 erklärte:

Vertraglich ist vereinbart: Google digitalisiert mehr als 1 Million Bücher der Staatsbibliothek - im Übrigen ausschließlich urheberrechtsfreie - und stellt sie ins Netz. Damit erreichen wir zwei Ziele:

  • Weite Teile des über 450 Jahre aufgebauten Bestandes der BSB werden auf dem Stand neuester Technik für die Zukunft konserviert.
  • Gleichzeitig sind sie über das Internet allgemein zugänglich - und das für die ganze Welt.

In glücklicher Weise treffen sich hier die Ziele des Unternehmens, der Bayerischen Staatsbibliothek und der Kulturpolitik des Freistaates Bayern.

Rede des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Dr. Thomas Goppel anlässlich der Unterzeichnung der Kooperations-Vertrags mit Google

Die Bayerische Staatsbibliothek ist der erste Kooperationspartner von Google im deutschsprachigen Raum. Ziel ist es die Bestände der Staatsbibliothek nicht nur vor Ort sondern auch über Internet zugänglich zu machen. Bilder: Wikipedia

 

Der Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, Dr. Rolf Griebel, nannte in seiner Ansprache anlässlich der Vertragsunterzeichnung zu den Beweggründen für die Kooperation mit Google vor allem zwei wichtige Gründe: Informationen werden heute immer mehr über Internet gesucht und die Inhalte der alten vom physischen Verfall bedrohten Buchbestände müssen gerettet werden:

Warum ist der mit Google geschlossene Vertrag für die Bayerische Staatsbibliothek so bedeutsam?

Wer Informationen sucht, sucht heute zuerst und vor allem im Internet, und er gibt sich in der Regel auch mit dem zufrieden, was er dort findet. Für die oft zitierte Generation Y oder die Millenials gilt erst recht: was nicht im Netz zu finden ist, existiert nicht.

Für eine Institution wie die Bayerische Staatsbibliothek mit ihrem umfassenden und unikalen Bestand, der für die Kultur- und Gesellschaftswissenschaften ebenso wie die Life Sciences eine unschätzbare Ressource darstellt, gibt es somit ein klares strategisches Ziel: dieser einzigartige Wissensspeicher muss schnell und umfassend digitalisiert und ins Internet gebracht werden, um per Mausklick für jeden Interessierten weltweit zugänglich zu sein.

Neben der Informationsbereitstellung geht es aber ebenso um die Informationssicherung: Große Teile des Bestandes vor allem aus dem 19. Jahrhundert sind auf säurehaltigem Papier gedruckt und damit massiv und akut vom Papierzerfall bedroht. Durch die Digitalisierung dieser Werke kann zumindest die in ihnen gespeicherte Information gesichert werden. Und ganz allgemein gilt:  Durch Digitalisierung muss ein Buch seltener im Original benutzt werden, und das ist der beste konservatorisch- restauratorische Schutz, den es geben kann.

Rede des Generaldirktors der Bayerischen Staatsbibliothek, Dr. Rolf Griebel
anlässlich der Unterzeichnung der Kooperations-Vertrags mit Google

 

Ähnlich kritisch und ablehnend wie Gerhard Ruiss in Österreich äußerte sich in Deutschland hingegen der Heidelberger Literaturwissenschaftler Roland Reuß:

Es ist ein seltsames Phänomen, wenn kulturelle Errungenschaften, die in einem langen Kampf institutionalisiert worden sind, kampflos preisgegeben werden sollen - bloß weil angeblich die Kräfteverhältnisse so sind, dass man ein wenig Mut zusammennehmen muss, gegen die Einkassierung aufzustehen.


Ausschnitt aus dem deutschen Reichsgesetzblatt zum Urheberrecht an Werken der Literatur, Kunst und Photagraphie aus dem Jahr 1895. Bild: Wikipedia

[...] Für das Urheberrecht und das aus ihm abgeleitete Verwertungsrecht an künstlerischen und wissenschaftlichen Werken ist in Deutschland seit Mitte des 18. Jahrhunderts gestritten worden, und die Künstler (und in ihrem Windschatten: die Wissenschaftler) haben schließlich mit nach wie vor gültigen und plausiblen Gründen eine Rechtsform durchsetzen können, die die Bedingungen dafür schafft, von den Erträgen kreativer Produktion leben zu können.

[...] Es ist ihre [deutsche Regierung, Anm. A.M.-H.] Aufgabe, die Interessen der in diesem Land kreativ Arbeitenden zu schützen und dafür zu sorgen, dass - im Falle der dauernden Urheberrechtsverletzungen durch GoogleBooks - die bewusste oder bewusst in Kauf genommene Aushöhlung anderer Rechtssysteme als das amerikanische es ist, aufhört.

[...] Ob in Deutschland unter vernünftigen Bedingungen geschrieben werden kann, wer den Mehrwert dieses Schreibens abschöpft und wo diese Abschöpfung stattfindet, sind mindestens so vitale Fragen des Staatswesens wie die nach der Sicherstellung der nächsten Erdgaslieferungen ...

Frankfurter-Rundschau-Online: Roland Reuß, GoogleBooks - Enteignet die schamlosen Enteigner!

Knapp 2.600 AutorInnen, Künstler, Wissenschaftler, Verleger, Politiker u.a. haben den so genannten Heidelberger Appell unterzeichnet, der sich gegen die bisherige Praxis von Google.books ausspricht, Bücher ohne Rücksprache mit den Rechteinhabern zu scannen:

Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht.


2.593 Personen aus allen gesellschaftlichen Bereichen haben bisher den Aufruf zur Wahrung der Urheberrechte unterzeichnet.

 

[...] Autoren und Verleger lehnen alle Versuche und Praktiken ab, das für Literatur, Kunst und Wissenschaft fundamentale Urheberrecht, das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Presse- und Publikationsfreiheit zu untergraben. Es muss auch künftig der Entscheidung von Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern, kurz: allen Kreativen freigestellt bleiben, ob und wo ihre Werke veröffentlicht werden sollen. Jeder Zwang, jede Nötigung zur Publikation in einer bestimmten Form ist ebenso inakzeptabel wie die politische Toleranz gegenüber Raubkopien, wie sie Google derzeit massenhaft herstellt.

[...] Die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft ist ein zentrales Verfassungsgut. Verlieren wir sie, verlieren wir unsere Zukunft.

ITK-Institut für Textkritik: Für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte
http://www.textkritik.de/urheberrecht/index.htm

Mittlerweile ist der Fall in die nächste Runde gegangen.  Am 18. Februar 2010 begann in New York das Fairness Hearing zum Google-Vergleich. Das Gericht muss nun darüber befinden, ob der Vergleich fair, angemessen und begründbar ist. Mit einer Entscheidung ist erst in zwei bis drei Monaten zu rechnen.

In ca. 500 schriftlichen Stellungnahmen wurden alle bekannten Argumente für und gegen den Vergleich dem Richter vorgetragen. Von verschiedener Seite kam der grundsätzliche Einwand, dass Regelungen, wie sie der Vergleich vorsieht, dem Gesetzgeber vorbehalten sein müssten und nicht von einem Bezirksgericht zu entscheiden wären. Vorschläge, welche die digitale Nutzung der Werke nur mit Zustimmung der Rechteinhaber ermöglichen würden, fanden zwischen den Vergleichsparteien keine Zustimmung.

 

>> Bücher im Internet - Die digitale Bibliothek, Teil 1
>> Bücher im Internet - Die digitale Bibliothek, Teil 2
>> Bücher im Internet - Die digitale Bibliothek, Teil 3

 

Weiterführende Links:
Google bücher
Pressestimmen zur Zusammenarbeit der Münchenern Staatsbibliothek als erste deutschsprachige Bibliothek mit Google
VG-Wort: Google-Vergleich: Arbeitsgruppe prüft Änderung des Wahrnehmungsvertrags
IT-Rezensionen: Interview mit Gerald Reischl, Autor des Buches Die Google-Falle
IKT-Institut: Gunther Nickel, Google unterhöhlt das Urheberrecht. Worum geht es genau, mit welchen Konsequenzen, und wo erfährt man mehr?
Welt-Online: Hendrik Werner, Deutsche Schriftsteller wehren sich gegen Google

 

Andreas Markt-Huter, 26-06-2009
aktualisiert: 24-03-2010

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