Jeannine Meighörner, Das fliehende Herz

jeannine meighörner, das fliende herzIm historischen Roman lässt es sich mit Fakten durchspielen, was ein anderer Verlauf der Geschichte hätte bewirken können, es lassen sich auch Träume der Gegenwart in das historische Ambiente zurückflashen, und schließlich können im historischen Roman Provinzereignisse zu Weltereignissen aufgeblasen werden.

Jeannine Meighörner hat längst herausgefunden, dass die Tiroler nur daran interessiert sind, ob auch alle historische Größen einmal in Tirol gewesen sind, um das Land für gut zu befinden. Da wir im 19. Jahrhundert nur Zeugnisse des durchreisenden Goethe und Heine haben, müssen die beiden eben ununterbrochen herhalten, um die Größe des Transitlandes Tirol zu dokumentieren.

Ziemlich augenzwinkernd schickt die Autorin im Roman „Das fliehende Herz“ die gute Sisi nach Tirol, einmal als Kind, dann als kunstinteressierte Kaiserin auf den Spuren von Heinrich Heine, und schließlich hinter verhüllten Waggons als Transiteurin nach Bozen und Meran.

Die letzte Schönheit Tirols erlebt Sisi als Leiche, als sie von Genf aus, wo sie gerade erstochen worden ist, über Innsbruck an den kaiserlichen Hof zurückfährt.

Die Tiroler Episoden werden jeweils vom aus Wien immigrierten Aloys Oberrauch als Zeremonienmeister abgewickelt. 1948 ist Sisi noch ein Kind, das aber schon Schädelweh (24) kriegt, wenn es von München kommend in Rosenheim ins föhnige Tirol abzweigen muss. Aloys ist gerade von der Revolution aus Wien geflüchtet und in der Provinz untergetaucht, jetzt albert er mit dem Sisi-Kind herum, das sich für Hunde interessiert aber nicht für Politik.

In der zweiten Episode um 1870 ist Sisi schon Kaiserin, „seit sie Kaiserin ist, gehört sie nicht mehr sich selbst.“ (104) Tirol ist bereits ans Eisenbahnnetz angeschlossen, der Sonderzug von Wien braucht gute vierundzwanzig Stunden. Die Kaiserin steigt in der Hofburg ab und leistet sich einen Rundgang durch die Hofkirche, wo sie anhand eines Eintrags von Heinrich Heine das Kunstprogramm abarbeitet.

Die Verwandtschaftsverquickungen, Unpässlichkeiten und Bonmots aus der kaiserlichen Schatulle erfahren wir Leser immer aus der örtlichen Presse, die für uns aufbereitet ist.

Die nächsten Besuche sind reine Durchfahrten, wie es sich für eine Kaiserin gehört, wenn sie zur Kur nach Meran muss. Die Tiroler können an diesen Durchfahrten lernen, wie man große Köpfe hinter Vorhängen grüßt, später werden Hitler und Mussolini durch Tirol rauschen.

Die letzte Sequenz, das Abfeiern des prominenten Sarges, erinnert an jenen unglücklichen Sozialminister Alfred Dallinger, der seinerzeit im Terminrausch in den Bodensee gestürzt ist, weil er eine Abkürzung nehmen wollte, und dessen Leiche im Gepäckwagen an jeder Stadt der Westbahnstrecke langsam verabschiedet worden ist. Die Tiroler können das, Tote im Gepäckwagen verabschieden.

In Tirol wird bei der Durchfahrt alles banal, auch wenn es sich um eine Kaiserin handelt. Dieser sehr fröhliche historische Roman holt die hohen Erwartungen der Tiroler wieder herunter vom eingebildeten Pferd. - Sehr witzig.

Jeannine Meighörner, Das fliehende Herz. Sisis Schicksalstage in Tirol. Ein historischer Roman
Innsbruck: Haymon Verlag 2017 (=TB 188), 228 Seiten, 12,95 €, ISBN 978-3-7099-7808-5

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Jeannine Meighörner, Das fliehende Herz
Homepage: Jeannine Meighörner

 

Helmuth Schönauer, 29-03-2017

Bibliographie

AutorIn

Jeannine Meighörner

Buchtitel

Das fliehende Herz. Sisis Schicksalstage in Tirol

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

228

Preis in EUR

12,95

ISBN

978-3-7099-7808-5

Kurzbiographie AutorIn

Jeannine Meighörner, geb. 1963 in Germersheim/Rhein, lebt in Innsbruck.