Astrid Kofler, Das Fliegen der Schaukel

astrid kofler, das fliegen der schaukelEine Gesellschaft kann nur dann glücklich sein, wenn sie mit der jüngeren Zeitgeschichte versöhnt ist. Der Literatur fällt dabei die Aufgabe zu, mit ihren Fiktionen und Analysen einer gemeinsamen Erzählung auf die Sprünge zu helfen.

Astrid Kofler schreibt mit „Das Fliegen der Schaukel“ so etwas wie einen Versöhnungsroman. Zur Jahrtausendwende sitzt in einem Bozner Altersheim die betagte Lehrerin Ada Torelli in verschiedenen Erinnerungsposen herum und lässt das Leben Revue passieren. Unterhaltungsprogramme, das Auftreten von Clowns oder das wortlose Altern von Mitgenossinnen wirken fast wie eine Verhöhnung eines Lebens, das da für ein friedliches Ende zusammengestellt wird.

In Rückblenden, Tagebuchaufzeichnungen und Briefen kommt ein unscheinbares Leben zum Vorschein. Ada verbringt die Kindheit in der Kleinstadt Paliano in Latium und bekommt immer wieder Briefe ihrer Tante aus einem mysteriösen Bergland, wo sie als Lehrerin arbeitet. So ist es sonnenklar, dass sich die Heldin in Rom zur Lehrerein ausbilden und ins Gebirge versetzen lässt. Hoffnungsvoll und engagiert trifft sie 1935 in Klobenstein ein. Sie fühlt sich frei und unbeschwert wie ein Kind auf einer Schaukel, das gefestigt und geschützt in die Zukunft fliegt.

In der Zwergschule in Oberinn steht sie einer Volksschulklasse gegenüber, die sie nicht einmal ablehnen kann, weil sie ihre Sprache nicht versteht. Ada unterrichtet kleine Landsleute, die von ihr nichts wissen wollen. Ein Blick ins Klassenbuch zeigt seltsam verformte Namen, die zwangsweise italianisiert worden sind. Bald wird auch klar, dass die Kids in Geheimschulen unterrichtet werden und in der öffentlichen Schule unauffällig bleiben.

Die Option verändert schlagartig den Unterricht, Lehrerin Ada sitzt mit einem einzigen Kind in der Klasse. Sie kann auch nichts bewirken, weil der politische Kampf um Dableiben oder Fortziehen quer durch die Familien geht. Ein paar bleiben, „um unser Deutsch zu verteidigen“. (194)

Eine Begegnung mit Sinti, die ihre jährliche Wanderung durchs Gebirge machen, lässt noch einmal eine Freiheit aufkommen wie auf einer Schaukel. Dann kommen die Deitschen, dann die Alliierten, dann ist der Krieg aus und die Schule versucht wieder eine wertvolle Stütze des neuen Staatswesens zu sein.

Jetzt sitzt Ada im Altersheim, eine unmögliche Liebschaft ist noch nachzutragen, eine Ehe mit einem Architekten, der früh stirbt. Die Pension kommt nach dreißig Dienstjahren wie eine neue Jahreszeit. Als Ada in die Stadt der Kindheit zurückkehrt, ist ihr plötzlich Latium fremd geworden. Jetzt bleibt Bozen ihre Heimat, aber die Alten rundherum sind wortlos und gebrechlich geworden, es bleibt nicht mehr viel zum Erzählen.

Astrid Kofler ist bekannt für ihre filmischen Porträts und die Kunst des Perspektivenwechsels. Ihr Roman zeigt den Südtirolern eine andere Art der Perspektive auf den Faschismus in den Kleinschulen. Und das historische Herbstlicht ist milde, alle Ideologien sind lächerlich, wenn man sie von der Brüstung des Alters aus betrachtet. – Ein Versöhnungsroman.

Astrid Kofler, Das Fliegen der Schaukel. Roman
Innsbruck: Haymon Verlag 2017, 328 Seiten, 22,90 €. ISBN 978-3-7099-7298-4

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Astrid Kofler, Das Fliegen der Schaukel
Wikipedia: Astrid Kofler

 

Helmuth Schönauer, 04-10-2017

Bibliographie

AutorIn

Astrid Kofler

Buchtitel

Das Fliegen der Schaukel

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

328

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-7099-7298-4

Kurzbiographie AutorIn

Astrid Kofler, geb. 1965 in Bozen, lebt in Bozen.