Christine Zucchelli, Wie tut ein wildes Wandern wohl

christine zucchelli, wie tut ein wildes wandern wohlDer Tourismus benötigt jeweils hundert Prozent der Fläche eines Landes. Es gibt keine Ritze und keine Kluse, worin nicht im Verlaufe eines Jahres ein Tourist stecken würde. Tirol ist mittlerweile so erschlossen und touristisch bombardiert, dass man selbst die Literatur nur mehr dann an das Publikum bringt, wenn sie nach touristischen Grundsätzen produziert und aufbereitet ist.

Christine Zucchelli erschließt mit ihrem Wanderführer Landschaft und Literatur gleichsam. Im Gehen lässt es sich am besten denken, wissen wir seit Thomas Bernhard, und über den Gipfeln ist Ruh‘, wenn man Goethe Glauben schenkt. Wenn man zweihundert Jahre im Gebirge zurückblättert, so gibt es keinen Stein, keinen Pfad und keine Kapelle, die nicht von irgendeinem Dichter im Gebirge besungen worden wäre.

Den literarischen Wanderungen durch Tirol ist eine rasante Literaturgeschichte vorangestellt, in der, neben den üblichen Verdächtigen, endlich auch zeitgenössische Autorinnen zu Wort kommen, die der Natur durchaus auch skeptisch huldigen. So sind die Werke von Norbert Gstrein, Johannes E. Trojer und Hans Haid zitiert, und ihre Helden stellen sich als eigenwillige Wegbegleiter vor.

Die Literarturgeschichte wird mit Porträts von Autorinnen unterlegt, während die Landschaft in Karten und Höhenreliefs herausgearbeitet wird. Die einzelnen Kapitel sind als Wanderungen der mannigfaltigen Art ausgestaltet, auf 22 Routen kommt man durch interessante Landschaften und wird dabei mit Lesestoff versorgt.

Am Beispiel der Wanderung sieben lässt sich zeigen, wie Land und Literatur ineinandergreifen. Im hinteren Ötztal sind die Erzählwelten historisch, mythisch und fiktiv ausgelegt. Ludwig Steub erzählt von der Erschließung der Alpen, Norbert Gstrein zeigt die zerbröselte Welt im Tourismus und Hans Haid zapft alte Mythen an, die davor warnen, es mit dem Rummel am Gletscher zu übertreiben.

Neben Bildmaterial, Karten, Geschichten und weiterführender Literatur gibt es Routenvorschläge, Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten. Kurzum, in dieser Literaturgeschichte kümmert sich jemand um den Leser im Gesamtpaket. Erst wenn dieser ordentlich gegessen, getrunken und sein Selfie gemacht hat, ist er empfänglich für das Gebirge und die darin eingemeißelten Helden.

In einer Gesellschaft, in der alles vermarktet ist, muss auch die Literatur vermarktet werden, will sie einen größeren Interessentenkreis erreichen. Dieser literarische Wanderführer erschließt das Land für ein gebildetes Publikum, das endlich einmal jenes Wissen abrufen will, welches sich einst für die Matura aufgestaut hat. Jetzt lässt sich körperliche Bewegung mit der geistigen ergänzen, das eigene Wissen wird mit Neugierde unterlegt und bleibt daher immer ein Rolling Stone.

Wenn man die 22 Routen fertig hat, ist man wahrscheinlich so gebrieft und fit, dass man auf Anhieb neue Literaturrouten findet, Tirol ist in dieser Hinsicht nämlich ausnahmsweise wirklich groß und spitze.

Christine Zucchelli, Wie tut ein wildes Wandern wohl. Literarische Wanderungen in Tirol, mit Routenskizzen und Serviceteil, zahlreiche Farb- und historische Fotos
Zürich: Rotpunkt Verlag 2017, 335 Seiten, 29,80 €, ISBN 978-3-85869-758-5

 

Weiterführender Link:
Rotpunkt Verlag: Christine Zucchelli, Wie tut ein wildes Wandern wohl

 

Helmuth Schönauer, 19-12-2017

Bibliographie

AutorIn

Christine Zucchelli

Buchtitel

Wie tut ein wildes Wandern wohl. Literarische Wanderungen in Tirol, mit Routenskizzen und Serviceteil

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Rotpunkt Verlag

Seitenzahl

335

Preis in EUR

29,80

ISBN

978-3-85869-758-5

Kurzbiographie AutorIn

Christine Zucchelli, geb. 1962 in Hall in Tirol, lebt in Innsbruck.