Georg Trakl, Am Moor
Ein Buch besteht üblicherweise aus Aura und Inhalt. Während der Inhalt ziemlich fix zu jeder gesellschaftlichen Jahreszeit abgerufen werden kann, verändert sich die Aura täglich im Zeitgeist.
Georg Trakls Am Moor besticht auf Anhieb wegen der Aura. Da wird hundert Jahre nach seiner Lebenszeit in Innsbruck ein Literaturverlag gegründet, und dessen Programm stürzt sich nicht nur in die Gegenwart, sondert versucht auch jene Prinzipien zu würdigen, die das Wesen der Literatur ausmachen. ?
Niemand geht in der Literatur verloren.? und ?Wir Dichter diskutieren mit unseren Vorfahren an täglichen Stammtischen.? Folglich haben die Meister des Kyrene-Verlages dem zeitlosesten Dichter Salzburgs und Innsbrucks einen aktuellen Würdigungsband mit der ISBN-Erfolgsnummer 1 zugedacht.
In einer spannenden Bio-Reportage berichtet Hermann Zwerschina kühl über das Leben des Genies, dabei kommen die Unruhe Trakls und die schiere Verzweiflung seiner Förderer bestens zum Ausdruck. Ein Genie ist vielleicht für das Publikum interessant, für die Insassen und Betreiber des Geniekultes ist es aber eine anstrengende Sache.
Der Trakl-Spezialist Zwerschina schält auch die wichtigsten Verfahrensweisen der Dichtung Trakls exemplarisch heraus und verknotet sie an den ?Fallbeispielen?. Die Konkordanz der Gedichtauswahl mit der aufsehenerregenden Innsbrucker Gesamtausgabe der Werke Trakls wird im Anhang hergestellt, da der erste Band der Gesamtausgabe noch nicht erschienen ist, handelt es sich beim Moor um eine Vorzugsausgabe editorischer Sorgfalt.
Walter Methlagl, der zweite Gigant in der Trakl-Forschung, stellt die Bezüge zwischen den zwölf Radierungen Hubert Sommerauers und den Gedichten her. Dabei ist die ätzende und zischende Arbeitsweise beim Radieren der Vorgangsweise beim Dichten ähnlich.
Trakl ist Trakl, unsterblich und immer aufregend. Die vier Fassungen des Gedichtes Am Moor stehen im Mittelpunkt. Kaspar Hausers Lied, Elis, Sebastian im Traum, Andacht und Delirium sind weitere Highlights aus dem Trakl-Kosmos. Die Trakl-Rezeption hat ja schon viele Stationen durchlaufen, vom schwermütigen Geniekult über die Melancholie des dichtenden Siechtums über die Anklage gegenüber Kriegsbetreibern bis hin zur obligaten christlichen Erlösung.
Momentan dürfte die leicht ironische, zurückgenommene Verklausung eines Provinzgeistes auf der Suche nach dem großen literarischen Ei die Stimmung am besten wieder geben. Günter Lieder liest zwölf Tracks in dieser zurückgefahrenen liquiden Stimmung. Die Mega-Metaphern der Trakl-Lyrik nimmt er dabei in einer fast nachrichtenökonomisch regulierten Stimme zurück und erreicht dadurch den Hörpegel der Gegenwart, weit weg von Pathos oder Rührung geht diese Vortragsweise dann sofort unter die Haut.
Inhalt perfekt, Aura grandios! Kyrene ist auf dem Weg zu einem Top-Verlag!
Georg Trakl, Am Moor. Ausgewählte Gedichte. Mit 12 Radierungen von Hubert
Sommerauer. CD.
Innsbruck: Kyrene 2004. 64 Seiten. EUR 24,-. ISBN 3-900009-01-5.
Helmuth Schönauer 12-06-2004