Niko Hofinger, Maneks Listen

niko hofinger, maneks listenElementare Romane dringen wie eine Naturgewalt in die Kunstbauten des Lesers ein und durchpflügen sein Weltbild und machen ganze Leseflächen instabil.

Niko Hofinger legt mit seinem Roman „Maneks Listen“ alles um, was sich der Leser als stabile Wahrheitspfosten ins Erdreich geschlagen hat. „Maneks Listen“ ist ein Roman der Irritation und der wahren Geschichtsschreibung. Schon der Vorsatz von Mark Twain sagt eigentlich alles: Die Wahrheit ist verrückter als die Fiktion, aber das ist so, weil die Fiktion verpflichtet ist, sich an Möglichkeiten zu halten; die Wahrheit aber nicht.

Der argwöhnische Leser wird zuerst den Anhang aufsuchen, wo hunderte historische Quellen, Vertrauenspersonen und Institute aufgezählt sind, die das Erzählte glaubwürdig erscheinen lassen. Im Text ist jede Menge Fotomaterial eingespeist, das zumindest auf den ersten Blick belegt, dass das Erzählte auch ein Abbild hat, wenn man danach fragt. Und immer wieder tauchen Listen auf, Einrichtungsgegenstände, die akribisch dokumentiert sind, Gerätschaften, Personenverzeichnisse.

Dahinter steckt die seit Heimrad Bäcker zur größten Kunst ausformulierte Überwältigung der Bürokratie durch Listen. Die pure Liste ist das heimtückischste und zeitloseste Dokument, im schlimmsten Fall sind es nämlich Todeslisten, die von einem Jahrgang übrigbleiben.

Im sogenannten Roman geht es um Doppelgänger, um Tarnung und ums pure Überleben. Über den ehemaligen Präsidenten der Innsbrucker Kultusgemeinde soll ein Film gedreht werden, Pech ist nur, dass unter dem Namen Ernst Beschinsky nicht nur in Innsbruck jemand begraben liegt sondern auch in Israel.

Ein zeit-ungebundener Historiker nimmt darauf hin mit dem Innsbrucker „Jenseitigen“ Kontakt auf und ringt ihm noch einmal seinen Lebenslauf ab. Zusammen mit Dokumenten erzählt Ernst Beschinsky seinen Teil der Geschichte, die dadurch zum Original wird.

Das Lebensmotto lautet: vorbei - ausgesessen, jetzt - schnell, dann - was kann man wissen? (8)

Der Protagonist gibt dem Historiker artig Auskunft, dabei gliedert er sein Leben in zehn Kapitel der persönlichen Zeitrechnung, sowie in historische Jahre, die den allgemeinen Zustand der Welt beschreiben. Ein Leben lang hat der Held mit diversen Identitäten zu kämpfen gehabt und es ist ihm irgendwie selbst ein Rätsel, wie wasserdicht die einzelnen bürokratischen Listen letztlich seine erfundenen Daten gewürdigt haben.

Der Historiker fragt einmal, warum er sich als Jude noch einmal eine jüdische und keine arische Identität zum Überleben zugelegt habe. Da schmunzelt der Angesprochene, eine arische Identität wäre in seinem Kontext aufgeflogen. (89)

In skurrilen Seitenbemerkungen äußert sich der Held auch über die unmittelbare Tiroler Zeitgeschichte, wie man den jüdischen Friedhof so lange umgebettet hat, bis nichts mehr zu tun war, wie bei Ehrungen der berüchtigte Walli vom Aufbau Tirols aber nie von seiner Nazimitgliedschaft geredet hat, wie dem Innsbrucker Bürgermeister Niescher die Bemerkung auskommt, dass er aussehe wie ein Jude aus dem Buche.

Der Roman fügt Schritt für Schritt das Selbstvertrauen des Lesers zusammen, indem er das Erzählte in eine erträgliche Form der Wahrheit überführt. Für die Lektüre anderer Romane aber bleib die Ermunterung zum Argwohn. Was auf einem Grabstein steht, muss noch lange nicht wahr sein. Und in Innsbruck schon gar nicht.

Niko Hofinger, Maneks Listen. Roman
Innsbruck: Limbus Verlag 2018, 216 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-99039-120-4

 

Weiterführender Link:
Limubs Verlag: Niko Hofinger, Maneks Listen

 

Helmuth Schönauer, 22-03-2018

Bibliographie

AutorIn

Niko Hofinger

Buchtitel

Maneks Listen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

216

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-99039-120-4

Kurzbiographie AutorIn

Niko Hofinger, geb. 1969, ist Historiker in Innsbruck.