Dasa Drndic, Belladonna

dasa drndic, belladonnaDann kam sie. Die Rente. (366) - In einem echten Rentnerroman wird das Leben ordentlich umgekrempelt, und das Eintreffen der ersten greifbaren Rente in Scheinen und Münzen ist erotisch wie das erste Liebesabenteuer, und tiefgehend, wie das Probe-Liegen am Sterbebett.

Dasa Drndic ist während der Auslieferung der deutschen Übersetzung ihres Romans Belladonna verstorben. Das gibt diesem Roman, der ohnehin von Aufhören, Abklingen und Aussetzen berichtet, einen zusätzlichen Abschieds-Drive. Und wenn ein Leser dann noch zeitgleich mit der Hauptfigur die erste Rente erwartet, ist die Authentizität des ganzen Falles nicht mehr zu toppen.

Der Roman tischt ein Konvolut von Analysen, Essays, Lektüre-Mitschriften, Vorträgen, Briefen und Fotos auf, das Andreas Ban anlässlich seiner Pensionierung zusammengetragen hat. Er hat an einigen Universitäten als Psychologieprofessor gearbeitet und nebenher seine Arbeiten als Schriftsteller in Büchern zusammengetragen und literarisch auf-moderiert. Jetzt ist er beinhart 65 geworden, und er ist gekränkt, dass man ihn deswegen in den Ruhestand versetzt. Vom Dekan einer Zwerguniversität aus läppischen Altersgründen in den Ruhestand versetzt zu werden ist einfach lächerlich. (111)

Jetzt sitzt er da mit einem Haufen von Materialien und hat keine Struktur, weder für sich selbst, noch für seine Materialien. Hilflos unvollendet werden die Textteile vor dem Leser ausgebreitet, und dieser kapiert allmählich ein raffiniertes Lebenskonzept, das aber dem Helden nicht bewusst ist.

Die Lebenskurve des Professor Andreas Ban verläuft ähnlich wie jene Jugoslawiens. Die Menschen sind nirgends zu Hause und belauern einander mit nationalistischem Argwohn. Am Schluss sind sie in alle Winde zerstreut und haben daheim ein Massaker hinterlassen. Diese Massaker bringen es mit sich, dass man sich im eigenen Land nicht mehr sahen lassen kann und in der Ferne auch nicht, denn dort findet die Aufarbeitung der Verbrechen statt. In Den Haag sitzen die Kriegsverbrecherprozesse.

Als Psychologe ist der Held viel herumgekommen, in Amsterdam ist er auf die Listen der umgebrachten Kinder des Holocaust gestoßen. Die überlebenden Opfer und Täter sind eine späte Klientel für den Psychologen geworden. Aber auch nach seiner Rückkehr ins zerfallene Jugoslawien sind über die Massaker der Ustascha schon wieder neue Gräber des jüngsten Bürgerkriegs gestapelt.

Diese Bilder und Namen lassen sich niemals literarisch oder psychologisch bearbeiten. Sie müssen als nackte Fakts stehen bleiben für den Leser. Die Urform des Erzählens ist die Liste, sie ist bürokratisch einwandfrei, unbestechlich und führt letztlich zum Tod. In der Totenliste sind alle aufgezeichnet und unvergessen, da kommt keine literarische Geschichte heran.

Der Held kämpft so nebenher seinen persönlichen Kampf gegen den Tod. Zeitgleich mit der Pensionierung ist er von seinem Krebs unterrichtet worden. Dieser Kampf hat den Vorteil, dass er irgendwie von der Pension ablenkt, andererseits ist der Krebs aber der neue Arbeitgeber, der über Zeiteinteilung und Lebenssinn entscheidet.

In diesen Kampf sind viele Analysen eingeschlossen. Oft ist es der simple Versuch, sich mit Literatur und Poesie zu beschäftigen, der den Überlebenskampf vorantreiben soll. Joseph Conrad., T. S. Eliot, Sylvia Plath, Witold Gombrovicz und natürlich Kafkas Briefe an Milena stellen hohe Anforderungen an den Helden, er liest, beobachtet und stellt Parallelen zu seinem Leben her. Auch wenn der große Sinn nicht freiwillig daherkommt, so lässt sich allein durch kluges Arrangement dieser Werke eine Logik erzeugen, die einen stark macht gegenüber der Krankheit. Vielleicht ist dieser Krebs nichts anderes als ein großes Werk, mit dem man sich auseinandersetzen muss.

Psychologe und Schriftsteller arbeiten schon längst nicht mehr selbständig in ihren Professionen, aber zusammengeführt in der Figur des Andreas Ban entwickeln sie ein eigens Lebensprogramm, worin das Individuum sich als Staatsbürger eines kaputt gegangenen Reiches wiederfindet.

Am Schluss packt pro Forma der Sohn Leo Ban die Sachen zusammen. Vieles versteht er nicht, dabei war die Spielregel so klar, als er einst fortgegangen ist:

„Geh! Hier ist es zu eng!“ (387)

In einem Nachspann mit Literaturliste, Fotoverzeichnis und Quellenangaben wird die Fiktion von der Fiktion noch einmal aufgebrochen. Die endgültige Auslegung muss der Leser vornehmen. Und der hantiert vorsichtig, wie es der Umgang mit Belladonna empfiehlt. Diese Tollkirsche soll ein großes Bewusstseinserweiterungsmittel sein, wenn man es sachte dosiert.

Dasa Drndic, Belladonna. Roman. aus. d. Kroat. von Brigitte Döbert und Blanka Stipetic [Orig.: Belladonna, Zagreb 2012]
Hamburg: Hoffmann & Campe Verlag 2018, 396 Seiten, 24,00 €, ISBN 978-3-455-00275-1

 

Weiterführende Links:
Hoffmann & Campe Verlag: Dasa Drndic, Belladonna
Wikipedia: Dasa Drndic

 

Helmuth Schönauer, 16-07-2018

Bibliographie

AutorIn

Dasa Drndic

Buchtitel

Belladonna

Originaltitel

Belladonna

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Hoffmann & Campe

Übersetzung

Brigitte Döbert / Blanka Stipetic

Seitenzahl

396

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-455-00275-1

Kurzbiographie AutorIn

Dasa Drndic, geb. 1946 in Zagreb, starb 2018 in Rijeka.