Alfred Paul Schmidt, Die Logik der Schatten

alfred paul schmidt, die logik der schattenDer Aphorismus ist ein Brühwürfel, der eine würzige Argumentationskette auslöst, wenn man ihn ins Gespräch wirft.

Alfred Paul Schmidt blickt auf ein reiches Schriftstellerisches Leben zurück, dabei kristallisieren oft ganze Bücher und Schriftsätze zu Aphorismen aus. Außerdem hat der Autor eine Zeitlang wöchentlich einen Aphorismus für eine Zeitung geschrieben. Das Brüh-Verfahren dafür ist originell, jeden Tag entsteht ein guter Spruch, und am Wochenende setzt der Redakteur einen davon in die Zeitung. So entstehen über-konzentrierte Textzeilen, die wahrlich aus dem Alltagsgeschehen ausbrechen und das Zeug für die Zeitlosigkeit haben.

Der Titel versucht etwas Ordnung in diese schemenhaften Gedanken zubringen, indem er alle diese Schatten unter die Logik eines Spruches setzt. Alles lässt sich auf die Spitze treiben und zu einer Erkenntnis formulieren, wenn man nur lange und regelmäßig dranbleibt. So sind die Text-Pfeile auch weniger das Ergebnis eines spontanen Gedanken-Flashs, sondern Ernte sorgfältiger Lektüre und Lebensbeobachtung.

Als Leser wird man von dieser über-munitionierten Gedankenwaffe eher niedergestreckt als animiert. So sehr der einzelne Gedankengang unter dem Blabla einer Zeitung wirkt, so sehr geht er in diesem flächendeckenden Ideenbombardement unter. Wie soll man das artgerecht lesen? Mit dem Finger unter den Zeilen wie ein Volksschüler, der darauf wartet, dass ihm die Lehrerin wohlwollend zunickt? - Also ist ein gewisser Lese-Speed angesagt, der bei Aphorismen natürlich pervers ist. Professionell kreuzt man sich so genannte brauchbare, erhellende an und solche, die eher ins Kalauerische gehen.

Ein paar gute:

Unwissend zu sein verbirgt man am leichtesten, indem man sich so stellt. (5)
Literatur, die sich mit sich selbst beschäftigt, ist wie ein Theater, das nur Darstellungsprobleme auf die Bretter bringt. (13)
Der beste Lehrer ist jener, der gerade beginnt, die Sache selber zu verstehen. (15)
Man braucht umso weniger Geld, je mehr man das Leben durch reines Tun bestreitet. (27)
Der Mensch ist immer ein Roman, aber nur selten auch ein Autor. (36)
Je weniger man sich wichtig nimmt, umso mehr geht unser Leben von selbst. (103)
Der glückliche Zufall ist eine Entmündigung, für die wir unendlich dankbar sind. (117)

Viele dieser Sprüche haben den Duktus von Ludwig Wittgenstein, der ja seine Sätze der Reihe nach logisch auf die Spitze treibt. „Ein Aphorismus hat größere Chancen, gelesen zu werden, wenn er auf einer ungeraden Seite steht!“ Was hier so Wittgensteinisch klingt, ist eine Faustregel im Bibliothekswesen, dass die rechte Seite immer die bessere ist. Zumindest beim Lesen.

Ziemlich Kalauerisch klingt eine Fügung wie:

Ein Denker zieht jederzeit einen Stau im Hirn dem auf der Straße vor. (61)

Hier zeigt sich, dass nicht nur der Autor einer sogenannten Tagesverfassung unterliegt, sondern vor allem der Leser. Was heute eher schal wirkt, kann einen als Leser morgen schon von den Socken reißen, das ist ja auch so ein Geheimnis der Literatur.

In die Aphorismen sind Anekdoten eingestreut, die vor allem die Aufgabe haben, Situationen auszukundschaften, in denen spitze Sätze einen gewissen Sinn ergeben. In einem Dutzend von Vorfällen spitzt sich die Lage auf Spitz oder Knopf zu. Das kann eine friedliche Meditation unter der Koralpe sein, eine Verwirrung, der Mond hinter Wolken oder eben jene geniale Situation, in der ein Beamter einen guten Ratschlag zum Leben weiß.

Die Obertöne der Mitte (82) berichten von einem Beamten im Ruhestand, der am Seeufer im Herbst sitzt. Ein Urlauber kommt vorbei und wundert sich, dass das nun schon seit Tagen so dahingehe, das Wetter, der Herbst und der Ruhestand. Die beiden kommen ins Gespräch und stellen ausgewogen fest, dass man einmal im Leben extreme Pläne gehabt haben muss, um die Mitte zu erreichen. „Ja, ja, sagte der Beamte, der Mensch hat eine interessante Natur, er muss immer hoch antragen, damit er dann in der Mitte halbwegs durchkommt.“

Eine Anekdote mündet meist in einem Aphorismus, während sich beim puren Aphorismus der Leser eine Anekdote hinzudenken muss.

Im Nachwort mit Vorsätzen und Nachsätzen verortet Reinhard Urbach die Denkleistung des Autors in dessen Gesamtwerk. Jedes Buch wird dabei zu einem Aphorismus.

Alfred Paul Schmidt, Die Logik der Schatten. Aphorismen und Anekdoten, mit einem Nachwort von Reinhard Urbach
Graz: Edition Keiper 2018, 172 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-903144-61-3

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Alfred Paul Schmidt, Die Logik der Schatten
Wikipedia: Alfred Paul Schmidt

 

Helmuth Schönauer, 29-11-2018

Bibliographie

AutorIn

Alfred Paul Schmidt

Buchtitel

Die Logik der Schatten. Aphorismen und Anekdoten

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

172

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-903144-61-3

Kurzbiographie AutorIn

Alfred Paul Schmidt, geb. 1941 in Wien, lebt in Graz.