Lesekompetenz und Literatur im Deutschunterricht – Teil 2

literatur im deutschunterricht

Welche Rolle spielt das Lesen von Literatur im Unterricht bei der Ausbildung von Lesekompetenz und für die Leseentwicklung und persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Diese Frage stellt sich speziell für Lehrerinnen und Lehrer, die das Fach Deutsch unterrichten und ihren Schülerinnen und Schüler die Potenziale von Literatur vermitteln wollen.

Damit Kindern und Jugendlichen Lesen von Literatur in der Schule und in der Freizeit Spaß macht und auch als sinnvoll empfunden wird, müssen sie zunächst eine entsprechende Lesekompetenz entwickeln. Aber wie lassen sich Leseleistungen gezielt verbessern?

Fördern der Leseleistung

Für Kinder und Jugendliche, die viel und gerne lesen, gilt: „Lesen lernt man durch lesen“. Damit kommt zum Ausdruck, dass Übung, ein kontinuierlich erweiterter Wortschatz und eine zunehmende Lesegeschwindigkeit die Leseleistungen verbessern. Bei Kindern und Jugendlichen hingegen, bereits in der Grundschule hinter den Leistungen der Mitschüler zurückbleiben, sieht die Sache ganz anders aus. Sie entwickeln geringe oder keine Lust am Lesen und haben Schwierigkeiten, schulische Texte zu verarbeiten.

Nachdem sich die Lesekompetenz aus verschiedene Teilleistungen zusammensetzt, bei Schülern mit geringer Lesekompetenz die jeweiligen Teilleistungen gefördert werden, die ein verstehendes Lesen behindern. Für die gezielte Leseförderung stehen im Unterricht grundsätzlich zwei Methoden zur Verfügung: Lautlesetraining und Strategietraining

Lautleseverfahren

Flüssiges Lesen heißt, mit der Geschwindigkeit und Betonung lesen zu können, mit der auch gesprochen wird. Um dies zu erreichen, sind Beobachtungen und Übungen zur Leseflüssigkeit und Lesegeschwindigkeit von der Grundschule bis zur Mittelschule von großer Bedeutung.

Die Leseflüssigkeit umfasst die Fähigkeit automatisiert, genau, angemessen schnell und sowohl laut als auch leise zu lesen.

Automatisiertes Lesen bedeutet Wortbestandteile, Wörter und Wortgruppen intuitiv und nicht Buchstabe für Buchstabe erfassen zu müssen. Dabei sollte ein Blick genügen, um das Wort zu erkennen. Der Aufbau eines Sichtwortschatzes erfolgt durch Lesen bis weit in die Jugend hinein. Zusätzlich ist es wichtig, Wörter in einer angemessenen Geschwindigkeit fehlerfrei zu erkennen. In Bezug auf Tempus, Singular oder Plural u.a. liegen die Unterschiede oft nur in einzelnen Buchstaben. Eine zu geringe Lesegeschwindigkeit überfordert das Arbeitsgedächtnis rasch. Wer zu lange braucht, um bis zum letzten Wort eines Satzes gelangt zu sein, hat den Anfang des Satzes bereits wieder vergessen ohne dessen Sinn erfassen zu können. Zudem müssen Wortgruppen sinnhaft verbunden und ausgesprochen werden, um gedankliche Zusammenhänge und Verstehen eines Satzes herzustellen. Die Automatisierung des Lesens erfolgt analog zur Automatisierung beim Spielen eines Musikinstruments oder beim Autofahren.

wörter erfassen
Aus den einzelnen Buchstaben schnell Wörter zu erkennen, Sätze zu bilden
und den Sinn zu erfassen, gehört zu den zentralen Herausforderungen
des Lesens.

 

Zur Automatisierung des Lesens braucht es einen bestimmten Grundwortschatz der automatisch und sofort erfasst werden kann. Die Lesegeschwindigkeit lässt sich durch gezielte Übungen erhöhen, die von der Lehrperson unterstützt und kontrolliert werden.

Mögliche Schwierigkeiten:

Das Stocken beim Lesen von Wörtern weist auf Probleme bei der Automatisierung hin, während unbemerkte Fehler Schwächen bei der Lesegenauigkeit erkennen lassen. Ist das Lesen zu langsam und fällt unter die Sprechgeschwindigkeit, braucht es eine Förderung der Lesegeschwindigkeit. Ein „Wort für Wort lesen“ ist ein Kennzeichen für Schwierigkeiten bei der Sequenzierung von Wortgruppen. Grundsätzlich lässt sich festhalten: nicht-flüssiges Lesens wird als überaus anstrengend empfunden und daher oft rasch aufgegeben.

Übungen zur Leseflüssigkeit:

  • Lautleseübungen von Texten gemeinsam im Chor oder abwechselnd mit Erwachsenen
  • Kooperatives Lesen von zwei Schülern: gegenseitiges Zuhören, anmerken und korrigieren, mehrere Durchläufe des Textes, bis eine gute Leseflüssigkeit entsteht (1/2 Jahr mit wöchentlich 3x20 Min.)

Lautleseübungen erhöhen die Lesegeschwindigkeit und das Textverständnis. Durch die Leseflüssigkeit und die schnelle Wort- und Satzidentifikation werden kognitive Ressourcen für das das Textverstehen frei.

lesen in der gruppe
Kooperatives Lesen und Lesen in der Gruppe kann dabei helfen, die
Leseflüssigkeit zu erhöhen.

 

Textverstehen fördern durch Lesestrategien

Es gibt Schüler, die zwar flüssig lesen und korrekt betonen, den Inhalt des Gelesenen aber nur schwer oder kaum erfassen. In diesem Fall können Lesestrategien helfen, die Aussage und den Sinn des Gelesenen zu verstehen. Die Verarbeitung des Gelesenen erfolgt während des Leseprozesses und nicht erst im Nachhinein und zielt auf das Verstehen des Textes als Ganzem.

Drei Gruppen von Lesestrategien:

  1. ordnende Lesestrategien: Markieren von wichtigen Wörtern, Textstellen, Zusammenfassen von Aussagen
  2. elaborierende Lesestrategien: Fragen an den Text stellen, Text in Verbindung mit eigenen Erfahrungen bringen
  3. wiederholende Lesestrategien: wiederholtes lesen, Absatz mit eigenen Worten wiedergeben

Strategisches Lesen ist ein Können, kein Wissen. (Rosebrock, S. 61)

Ziel der Lesestrategien: Herstellen von Kohärenz und Relevanz

Dazu müssen die Schülerinnen lernen, die spezifischen Schwierigkeiten eines Textes zu erkennen und für die Verarbeitung des Textes die passende Strategie anzuwenden. Neben einer Reihe von Programmen zum alleine Üben, lassen sich in Kleingruppen verschiedene Strategien an Texten auszuprobieren. Lehrer können dabei aufzeigen, wie sich Schwierigkeiten, einen Text zu verstehen, überwinden lassen. Grundvoraussetzung für die Anwendung von Strategien bleibt jedoch zu erkennen, auf welcher Ebene die Leseprobleme liegen, um die Förderung nicht auf einem zu hohen Niveau anzusetzen. Wer z.B. noch stockend, langsam und fehlerhaft liest, dem fehlen noch die nötigen Kapazitäten, um Lesestrategien anzuwenden.

Schüler zum Lesen von Literatur motivieren

Kinder und Jugendliche, die in ihrer Freizeit viel lesen, erweisen sich in der Regel auch als gute und kompetente Leser. Es macht daher Sinn, diese zum Lesen zu motivieren. Dazu eignen sich Lesenächte in der Schule, Bücherkisten in der Klasse, Bücherausstellungen zu einem Thema oder Autor, Schüler-Literaturzeitungen, Buchvorstellungen, Autorenlesungen u.v.m. Dabei sollen die Schüler mit spannender Kinder- und Jungendliteratur in Kontakt kommen und zum privaten Lesen animiert werden.

autorenlesung
Lesungen von Autorinnen und Autoren im Unterricht lassen Literatur lebendig
erscheinen und kann zum Lesen motivieren.

 

Erwartungs- und Wertehaltungen gegenüber Texten

Unter dem lesebezogenen Selbstkonzept wird die Einstellung gegenüber Texten verstanden, die tief in der persönlichen Entwicklung der Schüler verwurzelt ist. Dieses Selbstkonzept bildet die Grundlage für die Erwartungs-Wert-Haltung beim Lesen: Kann ich den Text bewältigen oder werde ich scheitern und was habe ich davon, den Text zu lesen? Macht es Spaß? Ist es nützlich?

Bei schwachen Leserinnen und Lesern können der Motivation zu lesen unterschiedliche Faktoren entgegenstehen. Das Lesen kann als mühevoll und ungewohnt empfunden werden, weil z.B. die entsprechenden Fähigkeiten fehlen, die das Lesen als Vergnügen erleben lassen. Häufig mangelt es auch am entsprechenden Hintergrundwissen, um selbst ein geeignetes Buch auszuwählen. Was erwartet mich, wenn ich das Buch lese? Kann ich es verstehen? Schaffe ich es, das Buch zu Ende zu lesen und will ich das überhaupt?

Um in diesem Fall den Lesevorgang anzustoßen, gilt es den Leserinnen und Lesern Hilfen und Strategien zur Seite zu stellen, die ihnen helfen, allmählich einen eigenständigen Leseprozess in Gang zu setzen und sie damit in eine Lesesituation zu bringen, wo sie selbst ein Buch lesen wollen.

 

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  >> Texte für den Literaturunterricht?
  >> Im Unterricht über Literatur sprechen

 

Verwendete Literatur:
Cornelia Rosebrock / Daniel Scherf, Lesedidaktik? Literaturdidaktik? Ein Dutzend Antworten für Einsteiger

 

Andreas Markt-Huter, 06-02-2023

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