Simon Konttas, Trautes Heim

simon konttas, trautes heimNichts ist literarisch so schwer zu handeln wie das, was alltäglich auf dem Erlebnis-Teller liegt und als normal gilt. „Das traute Heim“ streckt als pure Formulierung sofort die semantischen Greifarme aus und lullt jene ein, die an der Oberfläche dieses Bildes bleiben.

Simon Konntas nennt seinen raffinierten Roman über die Glücksvorstellungen einer angehenden Malerin ungeschützt „Trautes Heim“. Damit spricht er die Lesenden unverblümt an, damit sie selbst die Glücksvorstellungen abrufen, die sich seit Kindheitstagen in der Spielecke der schönen Seele aufgestaut haben, ehe er mit einem schlichten Plot die gängigen Muster aus dem Lot bringt.

Das Cover zeigt einen 1936 von Harald Clauß entworfenen Lehnstuhl, in dem ein kleines Kissen als Platzhalter eingedöst ist. Dieses Motiv und die in abgefedertem „Psychologen-Gelb“ gehaltene Farbe des Umschlags stimmen jedenfalls bestens darauf ein, der Heldin Anna bei ihrem Unterfangen zu folgen, durch Schreiben Klarheit über die Tiefen der Liebschaften zu gewinnen.

Auf der Plot-Ebene erleben wir die angehende Malerin Anna Krobal, der sich im Laufe ihrer Verwirklichung als Künstlerin zwei Männer in den Weg stellen: Julian, der leidenschaftliche Gefühlsanimateur, und Markus, der eine formvollendete Ehe sucht.

In der Zeit zwischen den beiden Männern wird das Studium gepflogen. Vor und nach den Verhältnissen haben Freundinnen das Sagen, von denen die meisten auch ohne Männer genug Probleme haben.

Diese Heldenkonstellation erzwingt geradezu einen interessanten Erzählstil. Im ersten Teil schmachtet und duldet, glüht und verzweifelt das Herz der Ich-Erzählerin. Jede noch so kleine Begebenheit wird nahezu als Gnade empfunden auf dem Weg zur Erfüllung aller Wünsche.

Umso cooler endet diese Beziehung mitten im Alltag an der eingeplanten Sollbruchstelle. Julian leistet sich einen Seitensprung und das zwingt die Heldin, gemeinsames Wohnen, Lebenspläne und Freizeitgestaltung jäh zu beenden. Andernfalls wäre die Reinheit des bisher Erlebten gestört.

Nach einer gewissen Verschnaufpause tritt Markus auf, die Fleischwerdung eines bürgerlichen Lebens. Die Erzählerin geht in eine Abwehrstellung, aus der sie nicht mehr herauskommt. Was folglich geschieht, sind Grenzüberschreitungen des Intimen, Stalking oder feindliche Übernahme der Persönlichkeitssteuerung. Markus erarbeitet sich die Geschlechtsverkehre mit Zudringlichkeit und Infamie, er macht anzügliche Fotos von Anna und prahlt damit im Freundeskreis. Und längst hat er die Ehevorbereitungen abgeschlossen, es muss nur noch Anna zur Unterschrift genötigt werden. Diese freilich zieht rechtzeitig die Reißleine.

Die fast trivial wirkende Geschichte ist das Ergebnis langer Recherchen durch die abgedunkelte Seite der eigenen Seele. Der Roman erzählt von der Kunst, die passende Wirklichkeit für sich selbst zu entdecken. Soll die Geschichte unbarmherzig rau und quasi als Tabula rasa erzählt werden oder muss sie nicht vielmehr so formuliert werden, dass sie erträglich wird, vielleicht eines Tages sogar schön?

Die Erzählerin bremst sich beim Erinnern mehrmals ein, wenn die Zeit noch nicht reif ist für diese oder jene Erkenntnis. Dem Leser wird das mitgeteilt mit der in der Idylle üblichen Voraus-Information von Glück. – Jetzt muss noch das Schlimme erzählt werden, aber das Schöne kommt dann verlässlich, wenn es an der Reihe ist!

Der Schreibvorgang ist stets miterzählt, sodass die Ich-Erzählerin nicht nur für sich selber die Dinge klärt, sondern auch den Leser zu kleinen Plauderstündchen über die Erzählmethode einlädt.

An ausgewählten Plätzen spielen Bilder eine Rolle, die gerade in Arbeit sind, aber das schönste Bild ist jenes einer leeren Staffelei, die jederzeit bereitsteht, Zutaten für ein Bild in eine Komposition überzuführen. Die Aussicht auf ein Bild ist das Bild!

Die Auseinandersetzung mit der stillgelegten Malerei und dem dynamischen Schreiben bringt die Analyse der Verhältnisse mit klaren Sätzen in Schwung.

„Ich stehe nicht zur Verfügung“, (181) an der richtigen Stelle ausgesprochen, würgt jede Erotik ab. „Er nimmt, was ihm geboten wird.“ (65) Ein kleiner Seufzer, aber er beendet jegliche Aussicht auf Überraschung.

Manchmal kommt eine idyllische Volksweisheit zum Vorschein, wie in einem klein gehaltenen Song von der großen Liebe: Es ist ein Denkfehler, dass Liebe durch Tränen echter werde. (59)

Am besten scheinen jene Tage zu glücken, an denen die Heldin trotzig beschließt, sich in das eigene Leben zu verlieben. (55)

Beim Eindampfen der Gedanken zu einem reinigenden Dampfstrahl helfen immer auch „schöne Stellen“ in der Literatur. So blitzt kurz Maurice Maeterlinck auf mit seiner Feststellung, dass Mitleid die Menschen ruiniere. (165)

Die Glücksbilder sind vielleicht gebrechlich wie jener Lehnstuhl aus dem Jahre 1936, von dem wir nicht wissen, ob er noch einen Menschen tragen könnte, wenn er statt des Kissens Platz nähme.

Der Roman bedient sich ungeniert der idyllischen Versatzstücke, die im Liebesreigen seit Jahrhunderten benützt werden. Anna und Markus beenden ihre Sache mit echten Abschiedsbriefen, aber diese sind nur Ausdrucke von digitalen Impulsen, die sie sich zuvor geschickt haben.

Zur Abklärung eines Problems gehört wohl auch, dass es anschließend ein neues Problem gibt. Anna zieht sich von den Männern zurück, und schon wird sie von ihrer Freundin mit dem Dauerthema aus Ratgebern überschüttet: Wie abnehmen, wenn man für die Liebe zu fett ist?

Simon Konttas erzählt mit den Bausteinen analytischer Essaykunst, was sich wirklich in jenen Figuren abspielt, die für ein Spiel ins „Traute Heim“ geschickt werden. – Es wird ausweglos realistisch, wenn die Träume Quartier nehmen.

Simon Konttas, Trautes Heim. Roman
Wien: Edition Sonnberg 2022, 293 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-9504320-6-0

 

Weiterführende Links:
Edition Sonnberg
Literaturhaus Wien: Simon Konttas

 

Helmuth Schönauer, 04-12-2022

Bibliographie

AutorIn

Simon Konttas

Buchtitel

Trautes Heim

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition Sonnberg

Seitenzahl

293

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-9504320-6-0

Kurzbiographie AutorIn

Simon Konttas, geb. 1984 in Helsinki, lebt in Wien und Baden.