Minu Ghedina, Am Rande das Licht

minu ghedina, am rande das lichtKunst kann zur Erbkrankheit werden, wenn man als Kind im Licht großer Künstlereltern aufwachsen muss. Minu Ghedina spielt im Künstlerroman „Am Rande das Licht“ mit dem Wechselspiel von eigener Entwicklung und allgemeinem Anspruch in der Gesellschaft. Wie lässt sich der Rand eines Bildes ausleuchten, ohne dass das Auge vom Bannstrahl der mediokren Mitte verbrannt wird?

Künstlerromane firmieren oft als Comingout-Romane, wenn es den Individuen gelingt, im Kunstbetrieb heimisch zu werden. Andererseits gleichen diese Biographien durchaus fehlgeleiteten Brüt-Vorgängen, die keine Künstlerkarriere ausschlüpfen lassen. Sarkastisch formuliert: Die Pubertät des Künstlers dauert bis ins fünfundzwanzigste Lebensjahr, ehe das Geschöpf normiert ist und einen seriösen Beruf ergreift.

Die Dramaturgie des Romans gleicht in der romantischen Suchbewegung durchaus großen Künstlererweckungen wie dem grünen Heinrich (Gottfried Keller) oder Steven Daedalus (James Joyce).

Die Hauptfigur David wird vom Vater zweifach gezeugt und inszeniert, einmal als das biologisch unauffällige Kind David, das ohnmächtig unter den Augen eines Genies heranwachsen zu müssen, andererseits soll dieser David ein erfolgreiches Kunstprodukt werden, ein fleischgewordenes Marmorstück, das sich der erfolgreiche Kunst-Vater bei der Zeugung ausgedacht hat.

Die Struktur der Erzählung hält sich an drei Hauptfragen: I Suchen oder finden (9) / II Auf halbem Weg (115) / III Bleiben oder gehen (281). Innerhalb dieser Themenbereiche herrscht das Gesetz der gedanklichen Anarchie. Verschiedene Erinnerungsstück schießen quer durch das Bemühen, einen geordneten Gedankengang über die eigene Bestimmung herauszufinden.

Mit der Frage: Wie fing alles an glaubt der Held, eine klare Antwort zu finden. Aber seine Identität ist geprägt von Zufällen und Trugbildern aus der Kunstwelt der Renaissance. Sein Leben fängt an vielen Stellen an. In einer Schlüsselstelle präsentiert der Vater seinem Sohn den David. Zwischen Katalog, Original und eigener Adaption kreist der Vater hin und her, der Sohn ist überfordert und muss sich damit begnügen, als Sohn des Direktors angesprochen zu werden, Vater führt nämlich ein Museum.

Später wird ihm diese Museumswelt noch Freundschaften kosten, als eine Umweltorganisation einen politischen Akt mit Bildschüttung setzen will, David aber ablehnt und von der Gruppe ausgestoßen wird.

In einer Art „Gegenwelt zum Museum“ kümmert sich Großvater um den Wald, der kleine David lernt das Leben als Ur-Masse für die Kunst kennen. Vom Großvater stammt auch der Hinweis, dass auch in der Naturbetrachtung andere Spielregeln gelten als in der Kunst, die mit Restlicht arbeitet.

David studiert an der Akademie und lässt sich einen Steinblock kommen, er wird seinen persönlichen David „zusammenhauen“. Diesen Begriff nimmt er wörtlich und zerschlägt den Entwurf. Die Idealmaße der Skulptur der Renaissance versucht er durch Krafttraining mit einem Sixpack-Körper zeitgemäß zu imitieren.

Das Leben zwischen Akademie und Vater-Museum ist geprägt durch Abschweifungen, ein Buchhändler erschließt ihm die gedruckte Welt, sporadische Begegnungen mit Kommilitoninnen sollen die erotische Welt aus Fleisch und Blut erschließen.

Die Lehr- und Wanderjahre verkürzt David mit einer Ausstellung in der Botschaft eines „fernen Landes, am Ende der Welt“. Der Botschafter erklärt die Diplomatie als Grundfeste des Kunstbetriebs. Der Kunstmarkt ist eine internationale Börse, auf der Identitäten, Landeskulturen und ökonomische Abläufe gehandelt werden. Die Botschaft erweist sich dabei als ideales Miniuniversum, worin Kulturen in Tauschhandel geraten, ganz im Sinne der Renaissance, die ja auch vom Handel, Tausch und gegenseitiger Imposanz gelebt hat.

Nach der Episode im fernen Land gibt es noch ein emotionales Nachspiel zu Hause, David wird von der Frau des Botschafters in großer Manier angemacht und lernt, zwischen Kunst, Markt und Gefühl zu unterscheiden.

Das Ende der Kunst-Pubertät kommt als demütige Erkenntnis. David muss von der Kunst loslassen, um sie vielleicht zu gewinnen. Er wird ein Jus studieren und kann dann immer noch der Suche nach dem idealen Kunst-David huldigen.

Minu Ghedina lässt ihren Helden ziemlich braten: im Saft des Vaters, im Glanz der Renaissance und in der Melancholie der eigenen Pubertät. Die erzählten Bilder über David und das Wesen der Kunst kommen freilich kaum in Bedrängnis, dazu sind sie fest als Geschäftsmodell materialisiert. Der Held flennt vergeblich mit seinen romantischen Schüben dagegen an. Je cooler man die eigenen Qualitäten analysiert, umso eher wird man seine Grenzen im im Kunstbetrieb erkennen. – Der Künstlerroman als Pubertätsbeschleuniger!

Minu Ghedina, Am Rande das Licht. Roman
Salzburg: Otto Müller Verlag 2024, 360 Seiten, 28,00 €, ISBN 978-3-7013-1321-1

 

Weiterführende Links:
Otto Müller Verlag: Minu Ghedina, Am Rande das Licht
Homepage: Minu Ghedina

 

Helmuth Schönauer, 09-08-2024

Bibliographie

AutorIn

Minu Ghedina

Buchtitel

Am Rande das Licht

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2024

Verlag

Otto Müller Verlag

Seitenzahl

360

Preis in EUR

28,00

ISBN

978-3-7013-1321-1

Kurzbiographie AutorIn

Minu Ghedina, geb. 1959 in Klagenfurt, aufgewachsen in Innsbruck, lebt in Innsbruck.