Lyrik hat immer mit Rätseln, Fragestellungen und Geheimsprachen zu tun, die Decodierung einer gestellten Aufgabe ist somit oft ein poetischer Vorgang.

Erika Kronabitter spielt mit ihrem Gedichtband „Decodierung der Dekaden“ auf diese rätselhafte Verschleierung der Welt an, die wir täglich entziffern müssen, um uns in einer vagen Zeiteinheit halbwegs zu erkennen. Dabei sind die Dekaden nicht nur Zählstationen unserer Biographie, große Dekaden werden oft von politischen Unternehmungen oder Kirchen ausgerufen, um quasi aus dem Stand eine Epoche zu zünden.

Kluge Poesie ist alltagstauglich und grenzenlos, man weiß bei ihr nie, wo sie beginnt und wo sie aufhört.

Christian Futschers Gedichte „spielen“ in diesem Raum zwischen Poesie und Gebrauchsanweisung des Alltags, dabei kann quasi zu jeder Tageszeit an jedem Ort das lyrische Ich auftreten und seine Sprache zu einem etwas anderen Zustand verdichten.

Die Hundstrauer ist so ein Wort, das man oft nachlässig hinsagt wie Hundswetter. Wenn sie aber Überbau für einen Gedichtband ist, steckt man als Leser gleich die Lauscher auf wie ein lyrischer Hund.

Joseph Zoderer hat einen Freund verloren und widmet seinem Django Gedichte von der Innigkeit eines durchtrainierten Lyrikers, gleichzeitig aber ist auch dieser ironische Augenaufschlag dabei, wenn jemand voller Fröhlichkeit staunt, wozu die Poesie letzten Endes fähig ist.

Es sind manchmal diese schiefrig-aufmüpfigen Sätze, die einem sofort vor Augen führen, dass hier jemand die Sache des Schreibens ernst nimmt und dran bleiben wird: „ich bin so traurig, ich könnte / schreiben.“ (39)

Andreas Pargger steigt dem Leser mit seinem Lyrik-Band gleich ordentlich ins romantische Gemüt. Unter dem beschaulichen Titel „Kindheit am Fluss“ setzt die Lyrik mit einem ganz und gar nicht erwarteten Bild ein:

Damit ein Jubiläum nicht überschwappt, muss man ihm rechtzeitig das Wasser abgraben.

Ein Jahr vor dem fünfundsiebzigsten Geburtstag hat Hans Haid, der Meister für rare Volkskultur und deren Rituale, seine Lyrikmappe durchforstet und 74 Beispiele aus den Jahren 1963 bis 2012 ausgehoben. Der Titel der Sammlung sagt es knapp, wie eben die Gedichte von Hans Haid sind: 74 Ötztaler Dialektgedichte.

Gedichte können poetische Stationen sein, die sich hintereinander gereiht als besondere Reise durch eine eigentümliche  Landschaft auftun.

Miachael E. Sallinger hat die Gedichtform gewählt, um das Besondere hinter dem Brenner zu beschreiben. Dabei nimmt er ähnlich einer klassischen italienischen Reise einen kalten nördlichen Standpunkt ein, von dem aus der Süden hell und warm, fröhlich und prägnant beschrieben wird. In den Genuss dieser Poesie kommt in diesem Fall Südtirol, prägnant zusammengefasst mit den Wörtern „Hain, Traube und Nacht“.

Lyrik ist für manche Literaturliebhaber der Inbegriff an Fiktion und Dichtung, für die pragmatischen Literaturproduzenten freilich oft das, was beim Dichten übrig bleibt.

Olga Martynova hat für ihren Roman „Sogar Papageien überleben uns“ die Phantasie dermaßen extrem ausgereizt, dass manche Teile nicht mehr im Roman Platz hatten. Diese von der Logik fortgesprengten Poesie-Kapseln sind schließlich neben einem Text über die Oberiuten und dem russischen Dichter Alexander Wwedenskij (1904-1941) als Gedichte von Tschwirik und Tschwirka in der Literatur gelandet.

Poesie entsteht nicht im Augenblick des Schwärmens sondern in der Disziplin über Jahrzehnte. Diese poetische Einschätzung gilt für Luis Stefan Stecher, für dessen fünfundsiebzigsten Geburtstag der Folio-Verlag eine mustergültige Sonett-Sammlung zusammengetragen hat. In zwölf Zyklen zu je zwölf Sonetten eröffnet sich somit die lyrische Welt des Jubilars.

Wie mannigfaltig konzentrisch die Motive komponiert sind, lässt sich am besten darstellen, wenn man die Themen der einzelnen Bildkreise ins Auge fasst. Reisebilder, Kindheitsbilder, Landschaftsbilder, Liebesbilder, Menschenbilder, Kunstbilder, Vexierbilder, Lebensbilder, Krankenbilder, Andachtsbilder, Weltbilder, Zeitbilder.

In der Literatur ist es durchaus üblich, ein Segment der Welt für das Ganze zu nehmen und darin den poetischen Kosmos auszuprobieren. So lässt sich etwa das Nachtleben, die Welt der Bars und intimen Beleuchtungen durchaus als Primär-Welt darstellen, der sich das Tageslicht und der Alltag unterzuordnen haben.

Moritz Beichl stellt mit seinen Gedichten die Welt als Bar dar, das lyrische Ich schreibt dabei mit Nacht-zittriger Handschrift das Motto auf: „ist mir doch scheißegal“. (77)

Wo immer man im öffentlichen Raum mit diesem Buch unterwegs ist, man wird als Leser gnadenlos angestarrt nach dem Motto, was haben die Obdachlosen mit Nietzsche zu tun.

Das Vermischen von scheinbar fixen Kultur-Vorgaben ist das Hauptanliegen von Toni Kleinlerchers „Takes aus japanischen Tagen“, die er als Vermächtnis seiner Japan-Jahre zusammengestellt hat.