Raoul Schrott, Die fünfte Welt

Buch-Cover

Ein Logbuch führen meist Abenteurer, Entdecker, Forscher und Grenzgänger. Der Poet Raoul Schrott ist alles von dem, wenn er sich haptisch hochgerüstet und ortsgebunden auf den Weg macht, im Norden des Tschad den letzten unentdeckten weißen Flecken dieser Erde aufzusuchen.

Raoul Schrott stellt seinen drei Kapiteln des Logbuchs jeweils ein wunderbar-skurriles Zitat von Herodot voran.

Im ersten Teil nähert sich die Expedition dem Zielgebiet. In der Vorbereitungsphase lungern alle in der Hauptstadt herum. Anders als bei Herodot, wo im Tauschhandel jeder kriegt, was er braucht, hat sich hier in der Sahara längst ein perverses Spiel zwischen Geld, Abenteuerlust und humanitäre Scheinhilfe breit gemacht. Der Autor stellt die Frage, ob diese Humankatastrophen nicht ein gigantisches Spiel mit der Hilfe sind. Internationale Organisationen spulen ihr Programm ab, die Einheimischen verlassen ihre Dörfer, um in den Luxus der Hilfe zu gelangen, Studenten wickeln unter klimatisierten Bedingungen lustlos ihre Forschungsprojekte ab.

Bei Herodot soll es ein Volk geben, das keine Träume hat. Dieses Zitat ist dem zweiten Teil vorangestellt. Jetzt wühlt sich die Expedition ins Innere der Wüste. Alle Hochkulturen kommen aus der Wüste, der Botaniker der Truppe stößt auf seltene Pflanzen, der Geologe erklärt den Zusammenhang zwischen Staub und Amazonas, und der Kameramann gibt zu bedenken, dass er für das hohle Medium Fernsehen nur erwartete Bilder aus der Wüste mitbringen darf.

Dem dritten Teil ist das Zitat einer Opferung vorangestellt, Nomaden schneiden einem Tier ein Stück Ohr ab und werfen es hinter sich. In diesem Abschnitt sind alte Expeditionskarten ausgestellt, die Bilder zeigen aufgelassene Außenposten diverser Armeen und auf den Fotos spiegelt sich in den Schlieren des Wüstensandes die Geschichte der Menschheit.

Raoul Schrott gilt mittlerweile als der Reinhold Messner der Literaturgeschichte. Fiktion, Essay und Erlebnisbericht lassen sich nicht immer scharf von einander trennen. Gerade der nüchterne Ton des Logbuches verdeckt oft die Fiktion, welche in den Texten Raoul Schrotts steckt. Ein Vergleich mit dem kalten Filmessayisten Alexander Kluge tut sich auf.

Während Kluge seine Geschichte der Menschheit aus Filmmaterial und Fiktionspuzzeln zusammen schneidet, gibt Raoul Schrott vor, in der Wissenslage von Expeditionsteilnehmern die Fiktion erschritten zu haben. Dabei ist die Ausgangslage für alle Schriftsteller und Forscher ähnlich: dieser großen Sehnsucht nach Individualität und Sinn nachzugeben, die vielleicht erfüllt wird, wenn man unberührte Gebiete oder unerschlossenes Land durchschreitet.

Raoul Schrotts Logbuch hat das Knistern jener Bücher an sich, die von wahnwitzigen Exkursionen an den Rand der Welt berichten. Dabei ist sich der Autor bewusst, dass man heutzutage mit Google-Earth alles mit Stoff und Geschichte füllen kann, was der Vermessungssatellit abfilmt.

Bei einem Gang in die Wüste muss Sinn herauskommen, das wissen wir seit der Bibel und seit dem kleinen Prinzen von Saint Exupery. Und siehe, auch dieses Mal ist wieder voller Sinn herausgekommen, der uns Logbuchleser in der modernen Zivilisation vollends entzückt.

Raoul Schrott, Die fünfte Welt. Logbuch. Ein Logbuch. Fotos von Hans Jakobi.
Innsbruck: Haymon 2007. 74 + 54 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-85218-524-8.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Raoul Schrott, Die fünfte Welt
Wikipedia: Raoul Schrott

 

Helmuth Schönauer, 16-02-2007

Bibliographie

AutorIn

Raoul Schrott

Buchtitel

Die fünfte Welt. Ein Logbuch

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Haymon

Seitenzahl

128

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-85218-524-8

Kurzbiographie AutorIn

Raoul Schrott, geb. 1964, aufgewachsen in Tunis und Landeck, lebt in Irland.