Kurt Lanthaler, Das Delta

Buch-CoverIm Zeitalter durchgehender Terrorangst darf man nirgendwo auf der Welt einen Koffer abstellen, ohne dass dieser nicht sofort gesprengt würde.

Diese Erfahrung macht auch der Lebenskünstler Fedele Conte Mamai - wörtlich übersetzt der treue Graf Niemals (S. 78) -, als er nach Jahrzehnten wieder in das Po-Delta zurückkehrt. Irgendwie verliert er den Koffer aus den Augen und ist schon dran. Carabinieri wollen alles wissen, wer warum weshalb, und genau auf diese Fragen weiß der treue Graf keine Antwort.

Sein Schicksal ist ein Mittelding zwischen Ebbe und Flut, Po und Meer, Delta und Gebirge.

Einst wurde er als Findelkind aus dem Delta geholt, lebte offensichtlich auf einem Hausboot und ging als Ingenieur in die Berge, um dort Stauwerke zu erbauen. Höhepunkte für einen Deltamenschen sind dabei die Überflutungen alter Dörfer, wenn die Staumauer fertig ist, denn das Überfluten ist ein generell großes Vergnügen, wenn man es gelernt hat.

Kurt Lanthalers Roman hält sich naturgemäß nicht an den Faden einer einzigen Biographie, so etwas Amorphes wie das Delta kann nur mit ausschweifenden, angeschwemmten und fortgetriebenen Partikeln erzählt werden. Mal ist die Handlung fortgespült, mal geht sie als seltsame Nebelfigur irgendwo an Land, will man den Roman mit Händen fassen ergeht es einem wie im Schilf, nichts ist verfestigt, aber mit der Zeit wird alles zu einem Stück Land, das sich pünktlich überschwemmen lässt.

In diesem nebelverhangenen Amphibiengestrüpp zwischen Fluss und Meer huschen die absurdesten Typen durch die Wahrnehmung. Da gilt es etwa, ein angefrorenes Schwein von einer Eisscholle zu befreien oder einen Aal mit Jahrhundertwürze zu beträufeln. Alles im Delta ist essbar, heißt es einmal recht einleuchtend, und wer nicht gerne isst, hat ohnehin einen Schaden fürs Leben.

An diesen Stellen geht der Roman unbemerkt in ein Kochbuch über, denn die Figuren erzählen die verrücktesten Rezepte.

In einem mathematischen Anlauf wird schließlich versucht, das Delta als logische Konzeption darzustellen, im Ingenieurwesen und in der produzierenden Mathematik gilt der griechische Buchstape Delta für ein Konzept, das zumindest in der Formel ein Ziel haben sollte.

Der skurrile Ingenieur Fedele Cone Mamai hat sich sogar einmal intensiv mit diesem mathematischen Delta beschäftigt und sein Leben dann seitenverkehrt in die Mathematik gehängt.

Kurt Lanthalers Roman ist ein genial gelungener Versuch, etwas Schlierig und Diffuses wie dieses Zwitterwesen von Wasser und Land zu beschreiben. Zu diesem Zweck ist der Roman in 48 Kapitel aufgesplittet, die sogar ganz cool wie in einem Sachbuch als Inhaltsverzeichnis zusammengefasst sind. Die Kapitelüberschriften sind immer italienisch deutsch gehalten, zwitterhaft eben, wie der ganze Text.

Noch bevor ich denken kann, schüttle ich den Kopf. Was soll ich erzählen? (S. 23)

Diese Sorge seiner Hauptfigur hat der Autor elegant widerlegt, durch freches, kühnes, durchgeschütteltes Erzählen.

Kurt Lanthaler, Das Delta. Roman.
Innsbruck: Haymon 2007. 163 Seiten. 17,90. EUR. ISBN 978-3-85218-547-7.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Kurt Lanthaler, Das Delta
Homepage: Kurt Lanthaler


Helmuth Schönauer, 22-09-2007

Bibliographie

AutorIn

Kurt Lanthaler

Buchtitel

Das Delta

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Haymon

Seitenzahl

163

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-85218-547-7

Kurzbiographie AutorIn

Kurt Lanthaler, geb. 1960 in Bozen, lebt in Berlin und Zürich.