Josef Oberhollenzer, Großmuttermorgenland

Buch-CoverHinter den Bergen muss etwas Rundes sein, hinter den Bergen liegt vielleicht das Paradies, hinter den Bergen ist das Großmuttermorgenland.

Im Gebirge wächst ein Kind heran, das allmählich in die Härte des lokalen Lebens, in die Kunst des Träumens und in die Vorstellung von Weite und Welt eingeführt wird. Die Lehrmeisterin ist vor allem die Großmutter, die nicht nur in allen Lebenslagen einen überraschenden Kunstgriff parat hat, sondern die auch die Phantasie erweckt.

Ein wunderschönes Beispiel, wie der Umgang mit dem Alltag direkt in die Schwerelosigkeit der Imagination führen kann, ist das Plumpsklo, worin über den Winter aus abgeworfenem Kot ein gefrorener Scheißgupf, ein sogenannter König entsteht. Ehe dieses kotige Königsmonument an den After der Produzenten kitzelt, wird ihn die Großmutter köpfen, wie sie die Hennen köpft. Aber die Natur ist sehr hilfreich, pünktlich zum Frühjahr schmilzt der König, so dass ihm niemand den Kopf abhacken muss.

Das Leben hat letztlich drei Grundschattierungen: Jänner / Juli / November. Aus dem Kind wird ein Bergbewohner, der diese Verknüpfung zwischen Bleiben und Weggehen, Erzählen und wortlosem Tun, Verdrängen und Zupacken aus den diversen Begebenheiten und Geschichten für sich selbst herstellt.

Ein Onkel hat sich mit dem mit Kälberstrick aufgeknüpft, von der Mutter erfährt der Heranwachsende, dass er bei der Geburt ungeduldig gewesen sei, die Großmutter wird halb wahnsinnig, in der Ferne leuchtet allmählich nicht mehr das Runde hinter dem Gebirge sondern die Irrenanstalt, in welche die Verzweifelten des Gebirges fallweise eingeliefert werden.

Und der Held erlebt die Höhen und Tiefen in einem schroffen Auf und Ab, wie eben das Messer eines Gebirgskares in jene schneidet, die es besteigen. Zur Tochter entwickelt sich eine beinahe wortlose Innigkeit. Oft sind es nur kleine Temperaturschwankungen des Gemütes, die auf die Heftigkeit der Zuneigung schließen lassen. Und die Geliebte fällt wie im Gebirge üblich vom Fels, nicht ohne beim Absturz noch den Namen des Geliebten zu rufen, schaurig brutal wie in einem Heimatroman.

Josef Oberhollenzer erzählt in einem kurzatmigen und kurzweiligen inneren Monolog, die Sätze sind oft nur eine eingefettete Model für einen Satz, der dann nie ausgegossen wird. Ganze Absätze sind im Kopf verspreizt zu einem einzigen Gebilde, das manchmal mit einem Konjunktiv aufgesprengt wird. Aus den Fugen zwischen dem Wirklichkeitssinn und dem Möglichkeitssinn sprießt letztlich eine schroffe Erzählung, die die Haut des Lesers ritzt wie scharfkantig ausgewaschenes Gestein. Das Großmuttermorgenland ist ein Paradies, das nur im Dampfkessel des Gebirges entsteht und dann mit einem schaurigen Zischen ins echte Leben verpufft.

Josef Oberhollenzer, Großmuttermorgenland. Eine Erzählung aus den Bergen.
Wien, Bozen: folio 2007. 108 Seiten. EUR 19,50. ISBN 978-3-85256-379-4.

 

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Josef Oberhollenzer, Großmuttermorgenland
Wikipedia: Josef Oberhollenzer

 

Helmuth Schönauer, 16-10-2007

Bibliographie

AutorIn

Josef Oberhollenzer

Buchtitel

Großmuttermorgenland. Eine Erzählung aus den Bergen

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

folio

Seitenzahl

108

Preis in EUR

19,50

ISBN

978-3-85256-379-4

Kurzbiographie AutorIn

Josef Oberhollenzer, geb. 1955 im Ahrntal, lebt in Bruneck.