Georgi Gospodinov, Natürlicher Roman

Buch-CoverDie Natur tut letztlich, was sie will, sie ist die letzte, die sich aus ihrer Unversehrtheit vertreiben lässt und ist die erste, die nach der Vertreibung als Pionierpflanze wieder zurückkommt.

Kaum eine Einteilung entspricht genau genommen der Natur, und alles, was der Mensch von ihr wahrnimmt ist höchstens ein kleines Stück höherer Wahrheit.

Für den Erzähler in Georgi Gospodinovs natürlichem Roman ist die Natur etwas vom Natürlichsten und Höchsten, das es zu erreichen gilt. Der natürliche Roman erzählt sich nämlich quasi wie von selbst, lässt alle Schnörkel aus und ist sinnvoll auf keinen Zweck ausgerichtet.

Wenn es einem gelingt, das Leben natürlich hinzukriegen, wäre alles gewonnen, andererseits ist etwas vielleicht natürlich und richtig, obwohl man es nicht versteht. Am Hauptstrang des Romans geht dem Erzähler die Ehe flöten, aber das ist weiter nicht schlimm, weil es natürlich ist. Im Lichte der Natürlichkeit gesehen werden allmählich die absurdesten Vorkommnisse völlig normal.

Der Erzähler setzt in fast fünfzig Kapiteln alles daran, die Kurve zu seinem Erzähl-Projekt hinzukriegen. Krankheiten, Gegenstände des Haushalts, Toiletten, Rosen, Notizzettel, Reiseberichte, zeitgeschichtliche Ausrisse, alles kann Stoff für einen natürlichen Roman werden, sobald man sich damit befasst.

Was für ein Roman würde entstehen, wenn wir eine Fliege dazu bringen könnten zu erzählen? (99)

Ich frage mich, wie uns wohl die Pflanzen beschreiben würden, was für eine Klassifikation würden sie uns geben? (149)

Um einen Natürlichen Roman zu schreiben, musst du dauernd das Sichtbare anstarren. Und Ähnlichkeiten entdecken. (140)

Das ganze Erzählverfahren wird zu einer postmodernen Karikatur. Der Leser konstruiert zusammen mit dem Erzähler eine Realität, von der bekannt ist, dass sie aus purem Kunstwillen in die Natürlichkeit umspringt. Es gilt, den ersten Anstoß in ein Thema zu fassen und die Protagonisten anzuschubsen, alles andere wird dem Zufall überlassen.

Nach dieser Methode kann etwas Banales zu hoher Kunst werden, ein tragischer Lebenslauf zu einem gewinnbringenden Exempel, und der Alltag ist ohnehin die intensivste Zeit, die ein Mensch erleben kann.

Georgi Gospinovs Roman ironisiert die Postmoderne, unsere Lust nach einem handfesten Schicksal und karikiert alle gängigen Ideologien und Beschreibungsmodelle. So nebenbei stillt dieser Roman unsere Neugierde auf die wahren Abenteuer des Alltags, denn wie so eine Ehe scheitert oder ein Klo funktioniert, das ist gerade wegen der Gleichstellung der Problemfelder eine spannende Sache.

Georgi Gospodinov, Natürlicher Roman. A. d. Bulg. von Alexander Sitzmann. [Orig.: Estestven Roman, 1999].
Graz: Literaturverlag Droschl 2007. 167 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-3-85420-728-3.

 

Weiterführende Links:
Literaturverlag Droschl: Georgi Gospodinov, Natürlicher Roman
Wikipedia: Georgi Gospodinov

 

Helmuth Schönauer, 15-01-2008

Bibliographie

AutorIn

Georgi Gospodinov

Buchtitel

Natürlicher Roman

Originaltitel

Estestven Roman

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Literaturverlag Droschl

Übersetzung

Alexander Sitzmann

Seitenzahl

167

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-85420-728-3

Kurzbiographie AutorIn

Georgi Gospodinov, geb. 1968 in Jambol / Bulgarien, lebt in Sofia.