Gerhard Kofler, Notizbuch über New York aus der Entfernung geschrieben
Gute Lyrik kennt keine Grenzen, keine Schwerkraft und keine Zeitschranken. Wie zum Beweis dieser großen Sache ist dieser Tage Gerhard Koflers Notizbuch über New York erschienen.
Der 2005 verstorbene Autor spricht dabei aus einem aktuellen Zeitreich zu uns Lesern, obwohl er die Texte in Wien geschrieben hat, hört man die Geräusche New Yorks zwischen den Zeilen heraus, und die Sprachen sind aufgehoben, der italienisch verfasste Text wird von Leopold Federmair ins Deutsche übertragen, damit die Gedichte breitbeinig und fest in beiden Sprachen verankert sind.
Die Notiz-Gedichte wachsen wie Grashalme aus dem Ablauf des Jahres 2004. Das lyrische Ich geht regelmäßig in das amerikanische Cafe in der Nähe der Wiener Mariahilfer Straße und die einzelnen lyrischen Halme räkeln sich aus dem Torf der Zeit.
Anlass für ein Gedicht kann fast alles sein, ein Gedenktag zu Beispiel, wo sich Ungaretti, Brecht und Pasternak die Hand reichen, und frech wird noch Thomas Bernhard hinzugefügt. Diese Erinnerung nennt sich ?Abschweifung mit Foto (29) und es taucht darin die Frage auf, was das mit New York zu tun hat. Es gibt allerdings ein seltenes Foto, wo Brecht mit seinem Sohn in Mannhatten sitzt, das könnte die entscheidende Verbindung sein.
An einem anderen Tag wird die Brücke im Cafe zu einer Himmelsbrücke, die stracks nach New York führt, wo gerade der Alltag zelebriert wird. (87)
In amerikanischen Buchhandlungen sitzen Dante und Neruda und lassen sich von hungrigen Lesern aufsuchen und anblättern, während vielleicht Kaffee serviert wird.
Gerhard Kofler nennt seine Textur Notizbuch. Darin ist alles erlaubt, chronologisch fein aufgelistet klettert ein Ereignis nach dem andern die Feuerleiter der Zeit hinunter. Notizen zu einem Leseerlebnis, Transatlantikflüge, Abschweifungen über den Zeitungsrand in das Cafe hinaus, alles fließt ineinander. Dazwischen baut sich Lyrik auf, denn die Gedichte sind straff und leicht wie Wolkengedichte, die Form passt auf Anhieb, und während man als Leser zum zweiten Mal hinschaut, hast sich schon wieder alles verändert.
Gerhard Koflers Notizbuch ist ein lyrisch ausgereiftes Werk, durch die posthume Edition natürlich aufgeladen voller Melancholie und Zeitlosigkeit. Mit Literatur lässt es sich leicht über den Atlantik driften, Reisen sind wahrscheinlich nichts anderes als Abschweifungen aus dem Alltag, es braucht fast nichts dazu als Zeit und einen Notizblock.
Gerhard Kofler, Notizbuch über New York aus der Entfernung geschrieben in einem Starbucks in Wien. (1/12/2003 - 1/12/2004). Taccuino su Nuova York a distanza scritto in un Caffè Starbucks di Vienna. A. d. Ital. von Leopold Federmair. Italienisch - Deutsch.
Klagenfurt: Wieser 2007. 265 Seiten. 12,90. EUR. ISBN 978-3-85218-546-0.
Weiterführende Links:
Homepage: Gerhard Kofler
Wieser-Verlag: Gerhard Kofler, Notizbuch über New York