Clemens Lindner, Weißer Mohn

Buch-CoverIn der Literaturgeschichte schauen uns tragische Helden meist aus einer gewissen Entfernung mit hohlem Blick an. Wie aber würden diese Helden uns ansehen, wenn sie heute neben uns wohnen müssten?

Clemens Lindner greift den literarischen Mythos rund um Georg Trakl auf, um daraus einen Roman über einen modernen Helden zu schreiben. Wichtige Gedichtteile aus Trakls Werk werden dabei in den Text geknotet, und auch sonst sind die Elemente Drogen, Schwesternliebe, Heimatlosigkeit und Angst vor der Welt heftig vertreten.

Im Mittelpunkt von Weißer Mohn steht Sebastian Hauser, schon sein Name sagt alles, eine Mischung aus dem verwundeten Sebastian und dem sprachlos ausgesetzten Kaspar Hauser.

In einer Rahmenhandlung hält Georg Fischer den kaputten Helden zusammen, aber er wird seiner Sache nicht ganz froh, denn seine Frau Karla ist natürlich längst mit dem tragischen Sebastian Hauser abgehauen.

Irgendwie beginnt alles mit jener hellen Zeit, die viele als Gymnasialzeit in einer Kleinstadt in Erinnerung haben. Während aus dem Liebespaar Georg und Karla ein Ehepaar wird, das eine Zeitlang ein biederes Leben führt, geht es bei Sebastian Hauser ziemlich rund. Er hat ein Verhältnis mit seiner Schwester, die sich umbringt, nützt so gut wie alle Arten von Drogen und versucht zwischendurch in New York Fuß zu fassen. Dort kommt es auch zu einer heftigen Begegnung mit einem gewissen Dominique, der unheimlich eroto-schwülstige Briefe schreibt.

Eine transsexuelle Liebschaft geht ebenso in die Brüche wie Versuche, mit der japanischen Kultur zurechtzukommen. Das Ende ist traklhaft. Völlig angesoffen verursacht Hauser einen Verkehrsunfall und stirbt.

Was bleibt, ist ein gewisser Hohlraum in der bieder-bürgerlichen Gesellschaft, denn Hauser hat mit seinem krassen Leben so ziemlich alles aufgemischt, was in seiner Umgebung war.

Georg Fischer versucht als Rahmenfigur wieder in ein Standardleben zurückzufinden, seine Frau bleibt weg, ihm bleiben ein paar Gedichte Marke Trakl und vielleicht ein Besuch der schlichten Trakl-Grabplatte am Mühlauer Friedhof.

Clemens Lindner erzählt fast protokollarisch um die schweren Sätze Trakls herum. Das Schicksal von Sebastian Hauser ist glaubhaft, in jeder Klasse hat es einst einen solchen gegeben, in jeder Arbeitsstätte sitzt so einer herum und versucht, nicht aus dem System zu fallen. Als Leser begnügt man sich, dieses aufregende Schicksal zu lesen, dann verbündet man sich mit der soliden Rahmenfigur und versucht, den Tag wieder halbwegs gerade und ohne Eskapaden hinzukriegen.

Clemens Lindner, Weißer Mohn. Roman.
Innsbruck: Skarabaeus 2009. 166 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7082-3261-4.

 

Weiterführender Link:
Skarabaeus-Verlag: Clemens Lindner, Weißer Mohn

 

Helmuth Schönauer, 26-05-2009

Bibliographie

AutorIn

Clemens Lindner

Buchtitel

Weißer Mohn

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

166

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7082-3261-4

Kurzbiographie AutorIn

Clemens Lindner, geb. 1965 in Hall / Tirol, lebt in Tirol und Tokyo.