Evelyne Polt-Heinzl, Einstürzende Finanzwelten

Buch-CoverDie ganze Welt redet von Krise und einstürzenden Finanzwelten und tut so, als ob der Weltuntergang kurz bevorstünde. In der Literatur freilich ist das Chaos der Weltordnung ein normales Thema und auch Literatur über Finanzzusammenbrüche gibt es jede Menge.

Evelyne Polt-Heinzl stellt dem Welt-Gejammere handfeste Literatur gegenüber. In einem ersten Schritt erklärt sie, dass es oft eine beinahe literarische Aktion ist, aus einem Bilanzdesaster mit schönen Worten zu entfliehen.

Alle diese Wörter wie Bonus, Schrottprämie oder Hedgefonds haben sich längst verselbständigt und bedeuten im Sinne von beinahe sakralen Wörtern längst etwas ganz anderes und lenken von der wahren Problematik ab.

In einem zweiten Schritt werden die Scheinwelten des Geldwesens mit der imaginativen Welt der Literatur verknüpft. In einem gewissen Sinn nämlich laufen Geld und Literatur auf das gleiche hinaus, beide unterliegen scheinbar logischen Gesetzen, beide Welten brauchen die Imagination, also die Vorstellungskraft des Benützers. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Begriff der Professionalität. Während in der Bankenwelt offensichtlich das System die Profis verschlungen hat, lebt die Literatur immer noch von unbedarften Quereinsteigern, die mit nichts als gutem Willen etwas bewirken wollen und meist scheitern.

In einer dritten Ebene gerät Evelyne Polt-Heinzl vollends in ihr wahres Element: Aus Dutzenden Romanen destilliert sie die literarischen Botschaften zu Wirtschaft, Leitbild und Crash heraus. Da die Literatur meist dem sogenannten Zeitgeist voraus ist, lässt sich bei sorgfältiger Lektüre der jeweilige Börsenkrach durchaus vorhersagen.

Wie reagieren die Helden der Buddenbrooks auf wirtschaftliche Veränderungen? Wie treiben es Spekulanten bei Joseph Roth? Wie wirkt sich die Fabrikswelt Hermann Brochs auf seine Literatur aus? Warum treffen Elfriede Jelinek oder Franzobel durch die Erfindung der echten Börsensprache den Nerv der Börse?

In Wahrheit ist die Literatur der Geldwelt immer einen Schritt voraus, es liegt nur an der kaum vermittelbaren inneren Logik der Literatur, dass sie es scheinbar nicht mit der Bankwelt aufnehmen kann.

Evelyne Polt-Heinzl verknüpft elegant die Welt des Marktes mit jener der Literatur. Dabei hält sie mit klaren Analysen nicht zurück. So wie die Gesellschaft organisiert ist, kommen immer die gleichen Habenichtse zum Handkuss, während sich die Wohlhabenden stets aus der Verantwortung schleichen und wohlhabend bleiben. Das gilt auch für den Literaturmarkt, auf dem literarische Habenichts immer unbekannt bleiben, während man sich den Aufmerksamkeitsregen für einige wenige Stars kaum erklären kann.

Einstürzende Finanzwelten ist ein aufregendes, zur Solidarität mit dem Intellekt anstiftendes Buch, das auch eine Beruhigung verströmt: Mitten in der Welt der Wahnsinnigen gibt es ein paar denkende Menschen, die wissen, was los ist, aber nichts dagegen ausrichten können!

Evelyne Polt-Heinzl, Einstürzende Finanzwelten. Markt, Gesellschaft & Literatur. Mit einem Nachwort von Wolfgang Polt und 7 Illustrationen von Thomas Kussin.
Wien: Sonderzahl 2009, 237 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-85449-322-8.

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl-Verlag: Evelyne Polt-Heinzl, Einstürzende Finanzwelten
Wikipedia: Evelyne Polt-Heinzl

 

Helmuth Schönauer, 30-09-2009

Bibliographie

AutorIn

Evelyne Polt-Heinzl

Buchtitel

Einstürzende Finanzwelten. Markt, Gesellschaft & Literatur

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Sonderzahl

Illustration

Thomas Kussin

Seitenzahl

237

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-85449-322-8

Kurzbiographie AutorIn

Evelyne Polt-Heinzl, geb. 1960, ist Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin.