Paul Flieder, Der Barbier von Bagdad

Buch-CoverSeit der Krieg-vom-Zaun-Brecher Bush in der Präsidenten-Pension verschwunden ist, ist der Weltgeschichte ein großes Ärgernis abhanden gekommen, dementsprechend ruhig ist es auch um den Kriegsschauplatz Iran geworden.

Es gibt zwar ununterbrochen Selbstmordattentate und Tote, diese werden aber erst ab einer dreistelligen Zahl an die Weltöffentlichkeit gemeldet.

Paul Flieder, der den Irak mehrmals zwischen 2001 und 2009 besucht hat, berichtet hingegen von einem gigantischen Alptraum, der sich in diesem alten Kulturland abspielt. Obwohl manches scheinbar normal erscheint, ist in diesem Land absolut nichts normal, die Bevölkerung ist durchgehend traumatisiert, die Menschen unter zwanzig haben praktisch keine Schulbildung, weil das Bildungssystem zusammengebrochen ist, die Intelligenz ist längst ausgewandert, es gibt kaum eine Familie, die nicht mehrere Tote zu beklagen hätte.

Unter dem märchenhaften Titel Der Barbier von Bagdad erzählt der Autor, was ihm bei seinen Friseurbesuchen in Bagdad und über seine Freunde zugetragen worden ist.

Die größte Gefahr ist nach wie vor das Kidnappig, meist sind es Polizisten oder Securities, die die Entführungen einfädeln und abwickeln. Am sichersten ist man immer noch, wenn man alleine unterwegs und ständig fluchtbereit ist. Eine Fahrt durch Bagdad ist immer eine Höllenfahrt, denn die Checkpoints locken die Attentäter geradezu magnetisch an.

Der Alltag in einer der heißesten Städte der Erde ist unerträglich, nur mit Fatalismus und unerschütterlichem Gott-Glauben lässt sich das Leben über die Runden bringen, der Alkoholismus ist gigantisch, obwohl das Land eigentlich muslimisch abstinent sein sollte.

Wie in einem Raumschiff hat sich die Regierung abgekapselt von der Bevölkerung in der grünen Zone eingenistet, meist sind es Exil-Iraker mit EU-Doppelstaatsbürgerschaft, die eine Scheinverwaltung aufrecht erhalten. Das Land ist horizontal und vertikal jeweils in zwei Teile geschnitten, wie der Autor meint. Einerseits ist die Regierungskaste vollkommen abgehoben von den normalen Menschen, andererseits hat sich der kurdische Teil längst verselbständigt und führt einen eigenen Staat ab, der bloß deshalb noch lose mit dem Rest-Irak verbunden ist, um die Türkei nicht zu reizen.

Von den Amerikanern ist längst nichts mehr zu sehen, sie haben sich verbunkert und warten in unerträglicher Hitze auf ihren Abzug.

Was wird die Zukunft bringen? - Es wird eine Nacht der langen Messer geben, dann gibt es entweder Bürgerkrieg oder der kurdische und der irakische Teil versuchen mit dem Status quo in die Zukunft zu driften, hoffend, dass nichts Schlimmes aus dem Iran kommt.

Paul Flieder erzählt von dieser Apokalypse auf Erden wie von einer schicksalshaft brutalen Oper. Mit journalistischen Mitteln ist dem Irak nicht mehr beizukommen, was sich sagen lässt, muss sich an die Dramaturgie einer Tragödie halten, jede Sequenz eine Entscheidung zwischen Leben und Tod. Apokalyptisch!

Paul Flieder, Der Barbier von Bagdad. Leben, Sterben, Glauben im Irak. Mit 33 Fotos.
St. Pölten: Residenz 2009. 204 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7017-3148-0.

 

Weiterführende Links:
Residenz-Verlag: Paul Flieder, Der Barbier von Bagdad
Wikipedia: Paul Flieder

 

Helmuth Schönauer, 02-11-2009

Bibliographie

AutorIn

Paul Flieder

Buchtitel

Der Barbier von Bagdad. Leben, Sterben, Glauben im Irak

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Residenz

Seitenzahl

204

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7017-3148-0

Kurzbiographie AutorIn

Paul Flieder, geb. 1953 in Wien, ist Opernregisseur und Drehbuchautor.