Lina Hofstädter, Im Schneckenhaus

Buch-CoverEs gibt Romane, die halten den Erzähl-Atem zuerst lange breit und flach, damit dann die Spannungskurve umso heftiger nach oben schnellen kann.

Lina Hofstädter erzählt Im Schneckenhaus lange Zeit völlig ruhig gestellt und elegant zurückgefahren. Als Vorbilder könnten vielleicht jene englischen Romane herhalten, in denen viel Tee getrunken wird und ab und zu einmal jemand auf den Rasen hinaus geht, um einen Ball in ein Loch zu schlagen, ehe wieder Tee getrunken wird.

Im Schneckenhaus hat sich ein altgewordenes Ehepaar für die letzten Jahre noch einmal neu aufgestellt. Etelka hat eines Tages ihren Paul zumindest im Stockwerk verlassen, jetzt wohnt er unten und sie oben, wobei sie meist im sogenannten Turmzimmer sitzt.

Beide umlauern einander aus alter Gewohnheit, gerieren sich aber völlig liberal und freundschaftlich, als wollten sie dem anderen mit der Brechstange noch ein Stück Glück gönnen. Das Schneckenhaus wird tatsächlich zu einem Refugium, in das sich die beiden wie Schnecken zurückziehen können, seinen Namen hat das Haus allerdings von einer architektonischen Besonderheit, das ganze Gebäude ist nämlich um die zentrale Wendeltreppe wie ein Schneckenhaus herum gewickelt.

Nach langen Tagen, an denen Nichtstun und leichte Gartenarbeit angesagt sind, kommt allmählich noch Bewegung in die Senioren-Ehe. Etelka lernt Franziska kennen, und macht sie zu ihrer Vertrauten, Paul findet an Fanny Gefallen, und will mit ihr noch einmal in Spanien in den letzten Frühling starten.

Wie groß aber ist das Erstaunen, als sich herausstellt, dass es sich bei Fanny und Franziska um dieselbe Frau handelt. Jetzt liegt natürlich ein Verbrechen in der Luft, denn es muss schon einen Sin haben, wenn jemand verschiedene Identitäten annimmt. Zudem spielt im gesamten Roman Geld nie eine Rolle, es ist im Überfluss da und fordert auf jeder Seite aufs Neue, irgendwie ausgegeben, gestohlen oder sonst wie transferiert zu werden.

Das Ende kommt überraschend wie bei einem Krimi und darf daher nicht verraten werden.

Lina Hofstädter erzählt im Stile gehobener englischer Romane von klugen Menschen, die betulich ihr Leben herunterbiegen und zwischen Noblesse und Altersreife veröden.

"Was war eigentlich Ihr Beruf?" fragt zu Beginn Franziska. "Ich war gar nichts." (38)

Interessant ist der Roman in dem, was ausgespart ist. es gibt keine Politik, keine Geographie, kein Sozialgefüge. Die Figuren stehen satt und altersfrigid auf einem finanziell gut abgepolsterten Schachbrett herum und warten darauf, dass sie jemand in die Hand nimmt und einen Zug riskiert. Ein seltsam abgeklärter Roman, der sich plötzlich mit einem Schuss Überspannung entlädt.

Lina Hofstädter, Im Schneckenhaus. Roman.
Hohenems: Limbus 2009. 253 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-902534-28-6.

 

Weiterführende Links:
Limbus-Verlag: Lina Hofstädter, Im Schneckenhaus
Wikipedia: Lina Hofstädter

 

Helmuth Schönauer, 03-11-2009

Bibliographie

AutorIn

Lina Hofstädter

Buchtitel

Im Schneckenhaus

Erscheinungsort

Hohenems

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Limbus

Seitenzahl

253

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-902534-28-6

Kurzbiographie AutorIn

Lina Hofstädter, geb. 1954 in Lustenau, lebt in Sistrans.