Astrid Kofler, Lebenskörner

Buch-CoverLebenskörner - dieser Titel regt gleich die Phantasie an. Vielleicht sind es Zeitgebilde, die wie in einer Sanduhr abrinnen, vielleicht handelt es sich um ein spezielles Saatgut, das eine einzigartige Lebensernte ermöglicht, vielleicht sind es aber auch die Körnchen Wahrheit, die da im Roman ausgelegt sind.

In Astrid Koflers Roman rinnen die Lebenskörner als Teil einer überschaubaren Chronik durch die Zeit. In ein unauffälliges Südtiroler Dorf werden die Bewohner zufällig hineingeboren, sie versuchen mit sich selbst zu Rande zu kommen, vermehren sich, reden manchmal was miteinander, halten jegliches Unglück für gottgegeben und wandern ab und zu aus oder kehren heim ins Dorf der Vorfahren.

Der große Mahlstrom der Zeit, der alle Beteiligten in geschichtsträchtig gleich große Portionen schreddert, macht letztlich keinen Unterschied zwischen arm und reich, oben und unten. Wer auf die Welt kommt, muss durch die Geschichte durch und damit basta.

Im Roman wird dieser unbarmherzige Ablauf der Zeit mit Episoden und Daten aufgefangen. In unzähligen Einstellungen werden Geschichten zusammengefasst wie die Unterschrift von Schutzengelbildern.

Als der kleine Luis ertrank und der Vater entschied, weiterzuziehen. - Als Guiseppina und Guiseppe Ignannamorte sich noch einmal trauten. - Als Genoveva am Tag der Autoweihe erfuhr, wer ihre Mutter war. - Als Magdalena befand, dass es gut sei, und ging.

Die Kapitelüberschriften erinnern an eine Heilsgeschichte, die wenn schon nicht tröstlich so immerhin scheinbar logisch die Ereigniskörner aufzufädeln versucht. In den Episoden werden immer wieder neue Personen vorgeführt, die es manchmal mit anderen Figuren zu tun kriegen, oft aber nur ihre singuläres Leben abspulen.

Gleichzeitig sind Zeitschnitte angesetzt, die etwas von der Oberfläche eines Tages erzählen. Wir erfahren Kleinigkeiten wie das Herstellen selbstgemachter Zahnpasta, private Ereignisse wie eine heimliche Geburt und ununterbrochen Schicksalsschläge. Die Figuren werden gleichsam durch die Geschichte getrieben wie Gläubige durch das Kirchenjahr.

So taucht denn auch die Geschichte immer wieder als Schicksalsschlag auf, wenn etwa der Reschen-Stausee angelegt wird und die demnächst unter Wasser gesetzten Bewohner in den Selbstmord treibt (93) oder wenn jemand einfach mir nichts dir nichts mit dem Motorrad unter den Zug gerät und zermalmt wird (103).

Ab und zu versuchen die Figuren glücklich zu sein und aus der Zeit auszusteigen.

Wie lange ist das her, Seppl, seit wir in der Wiese gelegen sind. Zuerst du, dann Großmutter und Maria, Vater, Mutter, Onkel Sepp, Peregrin und jetzt Johanna. Wolkentränen, Wolkenströme, Wolkenmeere. Du hast geirrt, Seppl, Wolken sind nicht nur Lämmer und Schiffe und Städte und Ungeheuer und Kuchen und Freiheit, Wolken sind Engel [...]. (227)

Astrid Koflers Lebenskörner sind ein geduldiger Versuch, die große Geschichte herunterzubrechen auf das Lebenskorn des Alltags. Manchmal ist pures Überleben angesagt, manchmal gnädiges Hinopfern seiner selbst an eine Welt voller schöner Sätze. Manchmal tun einem als Leser diese Figuren leid, wie sie jenseits aller politischen Aufklärung mit der Welt zurechtzukommen versuchen als alpin geeichte Tiere, voll gemästet von frommen Sätzen und einer Religion voller Scheinheiligkeit. - Berührend unbarmherzig.

Astrid Kofler, Lebenskörner. Roman.
Innsbruck: Haymon 2010. 271 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-85218-632-0

 

Weiterführende Links:
Haymonverlag: Astrid Kofler, Lebenskörner
Wikipedia: Astrid Kofler

 

Helmuth Schönauer, 14-04-2010

Bibliographie

AutorIn

Astrid Kofler

Buchtitel

Lebenskörner

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Haymon

Seitenzahl

271

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-632-0

Kurzbiographie AutorIn

Astrid Kofler, geb. 1965 in Bozen, lebt in Bozen.