Turi Werkner, Hauptbuch Nr 6

Buch-CoverÜblicherweise gilt die Faustregel: Die Welt ist alles, was sich in einem Buch darstellen lässt. Turi Werkner hingegen entwickelt eine Welt, die in keine Bücher passt, und dennoch mit Büchern realisiert wird.

Wie bei einem sorgfältigen Bibliothekar wird die Anti-Welt in Formate und Leseweisen eingeteilt. Den wuchtigsten Teil bilden dabei die Hauptbücher, daneben gibt es aber auch Notizbücher und Tagebücher, die in ihrer individuellen Funktionsauslegung durch den Künstler unbarmherzig an das Ende ihres Gattungsbegriffes getrieben werden.

Anlässlich der Schenkung der Hauptbücher an das Brenner-Archiv Innsbruck sind nun Teile  aus dem Hauptbuch Nr. 6 als bibliophiles Seh-Lust-Ereignis erschienen.

Patrick Werkner, der Bruder von Turi, erklärt im Vorspann das Wesen des Hauptbuches. Schon als Kind nämlich hat sich Turi Werkner aus Wunderwelt-Heften jene Welt zusammengeschnipselt, die für ihn die passende war. So laufen die Texte einerseits wie Collagen von einem anderen Stern ab, andererseits aber bekommen sie eine beinahe wissenschaftlich prüde Stringenz, indem die Schlüsselbegriffe verzettelt und in ein Register der Idiomatik aufgenommen werden.

So entstehen nicht nur seltsame Neuschöpfungen in Wort und Bild, die Zitate ufern oft in spektakuläre Sätze aus, die durchaus als Lebensphilosophie in einem einzigen Satz verstanden werden können.

Spektakuläre Begriffe lauten etwa: "der Einsturz der Hängebrücke Galloping Gerti", "Feuerländer mit Körperbemalung", "das Protokoll einer Debatte aus dem britischen Oberhaus zum Thema Spucken in der Öffentlichkeit", "Gadamer und Heidegger beim Sägen von Brennholz". (10/11) Selbstverständlich werden diese Titel alle auch gezeichnet, übermalt und mit einem Firnis-Text fiktional feuerfest überzogen.

In ähnlicher Weise werden Leitsätze und Faustregeln bearbeitet und im Hauptbuch eingeschlossen. "nichts ist so, wie es bleibt" (Herbert J. Wimmer), "alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher" (Albert Einstein), "wenn es die Bücher nicht gäbe, wären wir dem Sex hoffnungslos ausgeliefert" (Jean Bayard). Zu diesen philosophischen Ketten zeichnet und klebt Turi Werkner, was das Zeug gerade noch aushält. Nur das dick gebundene Hauptbuch lässt die Seiten noch ein wenig am Leben, aber die Seiten selbst gehen immer aufs Ganze.

Und für den fiktionalen Überbau sorgen seltsame Wörterbücher in allen möglichen Sprachen, oft sind es nur einzelne Einträge aus verschollenen Sprachen, die als Fern-Semantik zwischen den Seiten nisten.

Das Hauptbuch Nr. 6 ist ein wahnwitziges Kompendium an der Grenze der Buchkunst, des Bibliothekswesen und der graphischen Realisation. Turi Werkner bohrt die Welt von der Hinterseite der Realität an, und er ist dabei genauer und treffsicherer als die Theorien von der Vorderseite.

Turi Werkner, Hauptbuch Nr. 6. Herausgegeben von Birgit Holzner und Tilmann Märk. Mit einer Einführung von Patrick Werkner. Abbildungen.
Wien, Bozen: folio 2010. 88 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-85256-518-7

Turi Werkner, geb. 1948 in Innsbruck, lebt seit 1981 in Wien.

 

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Turi Werkner, Hauptbuch Nr. 6
Homepage: Turi Werkner

 

Helmuth Schönauer, 24-06-2010

Bibliographie

AutorIn

Turi Werkner

Buchtitel

Hauptbuch Nr 6

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

folio

Herausgeber

Birgit Holzner und Tilmann Märk

Seitenzahl

88

Preis in EUR

24,90

ISBN

978-3-85256-518-7

Kurzbiographie AutorIn

Turi Werkner, geb. 1948 in Innsbruck, lebt seit 1981 in Wien.