Barbara und Hans Haid, Naturkatastrophen in den Alpen

Buch-CoverSchelmisch verkürzt könnte man sagen, die Alpen bestehen aus einem Gebirge, das in die Höhe ragt, und einem Mythos, der in die Tiefe geht. Hans und Barbara Haid kümmern sich vor allem um den Mythos mit seinem Drum und Dran.

Ein ideales Thema für gruselige Berichte, tiefsinnige Überlegungen und Stoff für unbarmherzige Einsamkeit sind schon seit Jahrhunderten die sogenannten Naturkatastrophen. Dabei gibt es drei Kriterien, die für die Wucht der Naturkatastrophen herangezogen werden:

  • die Anzahl der Todesopfer oder in Todesgefahr Schwebenden
  • die Anzahl der Verletzten oder Betroffenen
  • die Sachwertverluste in Geldeinheiten

Objektiv gesehen stellt sich heraus, dass die Naturkatastrophen in den Alpen jeweils kleiner ausfallen als in flachen Gegenden, aber durch ihre Darstellung und ihren literarischen Charakter erzeugen sie jeweils großen Eindruck.

Im sogenannten Naturkatastrophen-Lesebuch werden nun Lawinenabgänge, Vermurungen, Gletscherabbrüche und Stausee-Überflutungen vorgestellt. Meist handelt es sich um ergreifende Amtseinträge, die mit der entsprechenden Gottesfurcht in den Pfarrhöfen erledigt wurden, aber auch Interviews mit Überlebenden, Tagebucheintragungen von gerade noch Davongekommenen und Dankes-Texte an die höheren Mächte finden Aufnahme.

Schwerpunkte der Katastrophen-Erzählungen sind die Schweizer End-Täler, wobei Orte wie Andermatt, Elm, Plurs oder Saas einen recht düsteren Sound verströmen. Aus österreichischer Sicht sind die Schneekatastrophen in Galtür und im Großen Walsertal ausführlich dokumentiert.

Und das größte Desaster spielte sich wohl 1963 in Longarone ab, als nach einem Bergsturz der Stausee über die Mauer schwappte und die Flutwelle mit einem Speed von 100 km/h alles verwüstete, was in Jahrhunderten gebaut wurde.

Meist geht bei solchen Unglücken nicht nur Leib und Leben verloren, den Überlebenden verschlägt es nach dem Unglück meist die ohnehin recht karg ausgebildete Alpin-Sprache und für die Chronisten bleibt oft nur die Leere der Überlebenden, die sie mühselig aufzeichnen können.

Durch den gewaltigen Luftdruck wurde ich betäubt und bin erst nach Stunden erwacht. Schlaf, Träume, Erwachen, Schmerzen wechselten mit völliger Bewusstlosigkeit. Ich lag eingezwängt zwischen Balken im tiefen Dunkel. Allmählich kehrte das volle Bewusstsein zurück und ich wurde mir eigentlich erst jetzt der furchtbaren Wahrheit meiner schrecklichen Lage bewusst. (92)

Der Katastrophen-Reader erfüllt ähnlich einem Katastrophen-Film alle Unterhaltungsbedürfnisse eines Lesers. Das Unerklärliche, Unplanbare und Unbegrenzte treffen auf den schlichten Überlebenswillen der Alpin-Bewohner und lösen Katastrophengefühle aus. Freilich sind in diesem Katastrophen-Reader die gängigsten Todesfälle nicht enthalten: Suizid und Verkehrstod! Die Alpen lösen nämlich verlässlich eine große Zahl von Suiziden aus, wie sich auch immer wieder Menschen im Verkehrsgewühl ?derstessen, weil sie nicht schnell genug abhauen können. Das sind nämlich die wahren Katastrophen in den Alpen.

Barbara und Hans Haid, Naturkatastrophen in den Alpen.
Innsbruck: Haymon 2010, ( = tb 50). 176 Seiten. EUR 10,-. ISBN 978-3-85218-850-8.

 

Helmuth Schönauer, 13-10-2010

Bibliographie

AutorIn

Barbara und Hans Haid

Buchtitel

Naturkatastrophen in den Alpen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Haymon

Seitenzahl

176

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-3-85218-850-8

Kurzbiographie AutorIn

Hans Haid, geb. 1938 in Längenfeld, lebt im Ötztal. / Barbara Haid, geb. 1966, lebt im Ötztal.