Karl-Heinz Brodbeck, Die Herrschaft des Geldes

Buch-Cover

"Der Herrschaft Zauber aber ist das Geld; ich weiß mir Bessres nicht auf dieser Welt als Gift und Geld schrieb vor knapp 200 Jahren der deutsch-französischer Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso über die Macht des Geldes."

Während Chamisso das Geld aber noch als Mittel zum Zweck der Herrschenden verstand, entlarvt Karl-Heinz Brodbeck die totale Herrschaft des Geldes in der Gegenwart als grundlegende Wahrheit über den globalen Kapitalismus schlechthin.

Das Geld kann menschliche Handlungen nur beherrschen, weil sein leeres Wesen und der ihm eigentümliche Schein nicht erkannt werden: Das ist die Kernthese, die ich auf den nachfolgenden Seiten systematisch entfalten und durch die Kritik der zahlreichen Entwürfe der Tausch- und Geldtheorie aus der Dogmengeschichte vertiefen werde. (3)

Karl Heinz-Brodbecks fulminantes Werk über das Wesen des Geldes und seine grundlegende Kritik der modernen Wirtschaftswissenschaft sowie an der Behauptung, dass die Wirtschaft quasi durch Naturgesetze regiert werde und ihre sozialen Auswirkungen auf die Menschen daher naturgegeben seien, rüttelt an den Grundlagen der modernen Ökonomie ebenso, wie an der Anpassung des Politischen an die vermeintlichen Gesetze des freien Kapitalmarktes.

Die Herrschaft des Geldes endet nur, wenn die Subjekte aufhören, sie als ihre Subjektform zu reproduzieren, wenn die Schulen, Hochschulen und Medien ihre Märchen von den Sachzwängen der Märkte beenden. Diese Sachzwänge, das ist die zentrale These meines Buches, gibt es nur als Täuschung; allerdings als eine sehr mächtige Täuschung, die ihre Macht dadurch gewinnt, dass sich die Vielen ihr unterwerfen. (9)

Brodbeck setzt seine Kritik bereits an den Grundlagen des rationalen Denkens in der europäischen Neuzeit an, indem er die folgenschwere Trennung zwischen Subjekt und Objekt im Denken Descartes analysiert. Die Grundlage für diese folgenschwere Trennung zwischen Subjekt und Objekt wird aber bereits in den Anfängen der europäischen Philosophie, bei Aristoteles gelegt. Während die platonischen Diskurse es noch als höchstes Ziel betrachten, durch wechselseitiges Versicherung ein gemeinsames Ziel erreicht zu haben, tritt Aristoteles als Metabeobachter auf, der den Diskurs als Gegenstand analysiert. Der Mediator Sokrates wird zum Theoretiker, das lebendige einander Wider-sprechen zum Satz vom Widerspruch und das im Diskurs entstehende gemeinsame Wissen zum Satz der Identität, der im Grunde leeren Tautologie a = a.

Radikal vollzogen wird diese Trennung zwischen Subjekt und Objekt dann bei Descartes, was sich in späterer Folge auch als Geldsubjekt in den sozialwissenschaftlichen Methodenlehren wiederfinden wird. In dieser - dem cartesianischen Denken verhafteten - Dualität zwischen Subjekt und Objekt stellt sich der Forscher außerhalb des zu erforschenden Gegenstandes. Das Denken und sein Gegenstand erscheinen als getrennt voneinander, mit der Folge dass auch der Mensch zum Objekt der Betrachtung degradiert wird, ein Umstand der ganz speziell in Karl Poppers Verständnis der Sozialwissenschaften zum Ausdruck kommt. Brodbeck kritisiert Poppers ontologische Bestimmung von ?Sozialwissenschaft als totalitär, da er die Gesellschaft auf ein Ding reduziert, das er einer ?technischen Ratio und Zwecksetzung (67) unterworfen sieht.

In der Ökonomie erhält die strikte Trennung zwischen Subjekt und Objekt nach dem 2. Weltkrieg seine allgemein akzeptierte Form als positive Ökonomik durch Milton Friedman an der Universität von Chicago. Die positive Ökonomik versteht sich als rein objektive Wissenschaft, die frei von Wertungen sein soll. Brodbeck kritisiert dabei das Unverständnis, dass

die Herstellung von reiner Objektivität - die Anwendung des methodischen Prinzips, soziale ?Tatbestände wie Dinge zu betrachten nicht weniger als eine totalitäre Position gegenüber den Menschen bedeutet, die weder Dinge noch reine Objekte sind, dieser Gedanke ist der positiven Ökonomik der empirischen Soziologie ebenso fremd wie den Philosophen Popper und Albert. (92)

Dieser in der gegenwärtigen Ökonomik vorherrschenden Sichtweise setzt Brodebeck einen neuen Blick entgegen: die menschliche Gesellschaft als sozialer Prozess. Als Grundlage wird der Prozess der Identität betrachtet, der als sozialer Sachverhalt dargelegt wird. Für die sozialen Bedeutungsprozesse in ihrer einfachsten Form verwendet Brodebeck den zentralen Begriff der ?sozialen Grundstruktur, die sich in verschiedenen sozialen Bereichen wiederfinden lässt, wie z.B. als Theorie des Spiels und für den Bereich der Gesellschaft im Sprechen. Sie bildet die Grundlage, um menschliche Bedeutungsprozesse und die Formen der menschlichen Vernunft zu verstehen.

Die soziale Grundstruktur ist als Prozess zu verstehen, in der verschiedene Subjekte zu einem Objekt in Relation stehen, die sich in gegenseitiger Abhängigkeit befinden.

Das ist zirkulär, doch diese Zirkularität ist das Wesen des Gesellschaftlichen. Die Vermeidung von Zirkeln leistet nur eines: Der Sachverhalt "Gesellschaft" wird verfehlt, wir zum "Gegen-Stand". (195)

Damit tritt Brodebeck dem ?Irrglauben des logisch-ontologischen Grundsatzes entgegen, dass eine Tautologie eine sinnlose logische Form sein.

Als spezifische Form der sozialen Grundstruktur beschreibt Brodebeck in Folge die Grundlagen des Tausches im ökonomischen Sinn und des Geldes, deren Herkunft und Funktion innerhalb der Gesellschaft. Nach der Darstellung des Grundmodells der Tauschstruktur, wobei ein Blick auf die Gewaltfreiheit, sowie auf Eigentumsrecht, Macht und Gewalt des Tausches geworfen wird, analysiert Brodebeck die zirkuläre Struktur des Geldes, indem sich Geld als Prozess der Erzeugung von sozialer Bedeutung reproduziert.

Nur so ist verständlich, wie das Geld Selbstzweck werden konnte und heute als Selbstzweck die Welt, das menschliche Denken und die Gesellschaften beherrscht - als ein funktionierender Schein. (342)

In einem überaus umfangreichen Abschnitt werden die wichtigsten, aber auch weniger bekannte Theorien des Tausches und des Geldes von Platon, über Aristoteles bis hin zu den Tausch und Geldlehren der klassischen Ökonomie von Smith und Ricardo, der Lehre von Marx bis hin in die Gegenwart zu Liefmann, Gottl-Ottilienfeld beschrieben und kritisch analysiert. , Dabei betrachtet Brodebeck die Darstellung der Theorien und Theoretiker als Dialog mit der Tradition, um seine eigene Auffassung systematisch zu vertiefen.

Im fünften Kapitel wird die Veränderung der menschlichen Subjektivität durch die Geldrechnung kritisch analysiert und das Geld als Denkform mit seinem philosophischen, mathematischen und wissenschaftlichen Einfluss beschrieben. Dazu analysiert Broedebeck zunächst das allgemeine Verhältnis zwischen Mensch und Natur, das als Bedürfnis und Arbeit beschrieben wird. Dabei wird die Geldgier als eine Grundkategorie dieser Denkform freigelegt, als Geist des Kapitalismus.

Das daran anschließende Kapitel über die ?Theorie und Kritik des Zinses analysiert den Zins als institutionalisierte Form der Geldgier, hinter der sich aber ebenso eine Form kollektiver Blindheit versteckt.

Nur weil die Quelle der Zinszahlung ein Rätsel bleibt, gibt es einen Zins. Der Zins gründet im Nichtwissen der Vielen, und dieses Nichtwissen realisiert sich als irrationale Leidenschaft, die die Gesellschaft immer wieder neu umwälzt, um aus diesen Umwälzungen jenes abstrakte Mehr zu erpressen, das nie an ein Ende kommt. (984)

Im abschließenden Kapitel "Kritik der Zukunft" vertritt Brodebeck entgegen der von vielen Seiten kritisierten ?völligen Undurchschaubarkeit des öffentlichen Lebens die Meinung, dass, ?wenn man einmal die Struktur des Geldsubjekts in seiner Banalität erkannt hat, am öffentlichen Leben wenig undurchschaubar ist (1115).

Ganz bewusst und konsequent gibt Brodebeck keine Ausblicke oder Ratschläge für die Zukunft, weil er die drei Dimensionen der Zeit als eine "gegenwärtige, perspektivische Illusion" betrachtet, deren Bedeutung als sozialer Prozess erzeugt wird. Zentrale Auswirkungen für die Zukunft hat es jedoch, wenn die Verhältnisse der Gegenwart richtig verstanden werden, was er am Beispiel der Bedeutung von Staatsschulden erläutert, die heute allgemein als "unverantwortliche Anleihe bei den Enkelkindern" kritisiert wird.

Karl-Heinz Brodbecks Werk "Die Herrschaft des Geldes" ist ein monumentales Werk und das nicht allein aufgrund seines bemerkenwerten Umfangs von knapp 1200 Seiten. Auch das Ziel das sich der Autor mit seinem Werk gesteckt hat, ist nicht gerade ein bescheidenes. Nämlich das gegenwärtig vorherrschende wirtschaftliche Denken mit all seinen sogenannten komplexen Sachzwängen und Folgen aufzudecken und seiner Illusionen zu berauben. Dabei hebt er mit der Kritik an der Trennung zwischen Subjekt und Objekt, wie sie seit Descartes vorherrschen wird, nicht weniger als eine der zentralen Fundamente des europäischen Denkens aus ihren Angeln.

Systematisch werden die Grundlagen der modernen Geld, Zins und Finanzwirtschaft erläutert und als Ursache für die gegenwärtigen Krisen auf unserem Planeten herausgearbeitet, sei es im Bereich der Wirtschaft, sei es im Spannungsverhältnis zwischen Arm und Reich oder  der Bedrohung unserer Umwelt. Brodebecks Ausführungen entkleiden die gegenwärtigen Wirtschaftstheorien ihres Nimbus, gleichsam mit naturwissenschaftlichen Methoden die wirtschaftlichen Prozesse zu erklären und prognostizieren zu können.

Das Buch birgt zwangsläufig einen sozialrevolutionären Sprengstoff, werden doch nicht nur die derzeit allgemein anerkannten sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Strukturen in Frage gestellt, sondern auch unser wissenschaftliches Denken mit seinem Subjekt-Objekt-Dualismus als Ursache für die immer stärker werdenden Krisen und Katastrophen benannt. Das allein aufgrund seines Umfangs nicht einfach zu lesende Werk kann allen an Finanzwelt, Wirtschaft und Philosophie interessierte Leserinnen und Lesern als grundlegendes Werk für das Verständnis der gegenwärtigen Gesellschaft empfohlen werden. Ein großes und bahnbrechendes Werk für die Gegenwart und Zukunft unseres Planeten.

Karl-Heinz Brodbeck, Die Herrschaft des Geldes. Geschichte und Systematik, m. Abb.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009, 1193 Seiten, 154,10 EUR, ISBN 978-3-534-22080-9

 

Weiterführende Links:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Karl-Heinz Brodbeck, Die Herrschaft des Geldes
Wikipedia: Karl-Heinz Brodbeck

 

Andreas Markt-Huter, 14-02-2011

Bibliographie

AutorIn

Karl-Heinz Brodbeck

Buchtitel

Die Herrschaft des Geldes. Geschichte und Systematik

Erscheinungsort

Darmstadt

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Seitenzahl

1193

Preis in EUR

154,10

ISBN

978-3-534-22080-9

Kurzbiographie AutorIn

Karl-Heinz Brodbeck, ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, Statistik und Kreativitätstechniken an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik München. Er ist Verfasser zahlreicher Darstellungen zu Wirtschaft und Philosophie.