Lesen und Leseförderung in Tirol im Zeichen der PISA-Studie 2009, Teil 2

Wie immer man zur PISA-Studie auch stehen mag, eines scheint gewiss: sie rückt die Grundkompetenzen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften aber auch das Schulsystem als Ganzes regelmäßig in das Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung.

Genauso regelmäßig, wie die Studie alle drei Jahre vor Weihnachten der Öffentlichkeit präsentiert wird, werden auch ihre Ergebnisse von der Politik und den Medien unterschiedlich interpretiert. Lesen in Tirol hat bei den maßgeblichen Tiroler Bildungseinrichtungen über ihre Einschätzung der Lesekompetenz der Tiroler Schülerinnen und Schüler nachgefragt.

Im zweiten Teil der Reihe Lesen und Leseförderung in Tirol haben wir die Rektorin der Kirchlich-Pädagogischen-Hochschule-Edith-Stein Dr. Regina Brandl zum Interview gebeten und über die Aufgaben der Pädagogischen Hochschulen und der Schulen für den Bereich der Leseerziehung befragt.
 

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Lesen in Tirol: Die Ergebnisse des aktuellen PISA-Tests haben den Tiroler Schülerinnen und Schülern für den Bereich der Lesekompetenz kein besonders gutes Zeugnis ausgestellt. Was bedeutet dieses Ergebnis für die Ausbildung im Bereich der Kernkompetenzen bei den zukünftigen LehrerInnen?

Regina Brandl: Es ist soeben die Nachricht von der EU zu uns gekommen, dass das Bildungsziel Verbesserung der Lesekompetenz in Österreich unter dem EU-Durchschnitt liegt. Wir sind gerade dabei, die Curricula zu bearbeiten, wobei wir vielleicht noch einmal schauen müssen, wie sich Lese- und Sprachkompetenz, die ich gerne zusammen sehen möchte, noch besser in der Ausbildung verankern lassen. Dies soll aber nicht nur auf den Deutschunterricht beschränkt bleiben, sondern alle Fächer - sowohl in der Schule als auch in der Lehrerausbildung - sollen dafür verantwortlich sein.

Lesen in Tirol: Welche Lehrveranstaltungen an der KPH-Tirol gibt es, die sich konkret mit der Vermittlung von Lesekompetenz und Leseverhalten an den Schulen auseinandersetzen?

Regina Brandl: Die Vermittlung von Lese- und Sprachkompetenz haben wir in allen Studienplänen, mit Ausnahme von Mathematik in Hauptschulen, in der Ausbildung verankert. Zu den entsprechenden Lehrveranstaltungen gehören Differenzierung, Förderung und Individualisierung im Unterricht, Deutsch als Fremdsprache, Deutsch für Erwachsene, Lernförderung - Diagnose von Lernschwierigkeiten, Methodik und Didaktik des fremdsprachlichen Unterrichts und Leseförderung - Lesekompetenz.


Die Vermittlung von Lese- und Sprachkompetenz haben wir in allen Studienplänen in der Ausbildung verankert. Foto: Markt-Huter

Lesen in Tirol: Richten sich diese Lehrveranstaltungen zur Förderung der Lesekompetenz nur an zukünftige VolksschullehrerInnen oder sind diese grundsätzlich auch für HauptschullehrerInnen gedacht?

Regina Brandl: Im Volksschulbereich und im Bereich der Allgemeinen Sonderschule sind die Ausbildungsangebote zu Fragen der Lese- und Sprachförderung naturgemäß differenzierter und intensiver als im Hauptschulbereich. Hier spielt die Lese- und Sprachförderung vor allem bei Studierenden mit Deutsch oder Englisch als Hauptfach eine starke Rolle. Studierenden mit dem Hauptfach Mathematik wird ein Wahlpflichtmodul hierzu angeboten. In der Religionspädagogik ist die Lese- und Sprachförderung stark verankert, vor allem in Lehrveranstaltungen zur Diagnose von Lernschwierigkeiten. Wenn wir also die Anzahl der Lehrveranstaltungen betrachten, so sind wir in der LehrerInnenausbildung also gut gerüstet, dennoch müssen wir uns die Frage stellen, weshalb dies im schulischen Alltag nicht greift.

Lesen in Tirol: Wo sehen sie die möglichen Ursachen für die schwachen Leseleistungen von doch großen Teilen der Tiroler Jugendlichen?

Regina Brandl: Ich denke, dass es sich bei den schwachen Leistungen im Bereich der Lese- und Sprachkompetenz um ein multikausales Problem handelt, wobei die Schule allein diese Defizite nicht aufholen kann. Wenn wir uns die Medienberichte anschauen, in denen ständig das Lernen am Computer hochgelobt wird oder verkündet wird, dass lernen Spaß machen soll, dann muss ich dem entgegen halten, dass Lesen lernen eben nicht immer Spaß macht. Wenn wir uns beispielsweise die Sprache betrachten, die über die neuen Medien wie z.B. Handys gepflegt wird, werden die großen Probleme beim Lesen und Schreiben offensichtlich. Die Schule alleine wird es also nicht schaffen, die Lesekompetenz signifikant zu verbessern. Wir müssen auch eingestehen, dass in unserer Gesellschaft grundsätzlich nicht sehr viel gelesen wird und auch das Elternhaus leitet im Allgemeinen zu wenig zum Lesen an.

Lesen in Tirol: Hat sich das gesellschaftliche Umfeld für das Lesen in der Gesellschaft ihrer Meinung nach sehr gewandelt?

Regina Brandl: Das gesellschaftliche Umfeld hat sich in den letzten Jahren leider sehr geändert. Auch der Zugang zum Buch hat sich sehr gewandelt. Ich sehe das Thema immer im größeren Zusammenhang als Sprach-, Schreib- und Lesekompetenz, was sich ja nicht trennen lässt. Ich wünsche mir z.B. mehr Sprachkompetenz, auch in den Medien. Wenn ich eine Zeitung lese, bin ich oft entsetzt, wie schludrig zum Teil geschrieben wird, wie viele Fall- und Grammatikfehler begangen werden. Es ist wirklich schlimm, wie in den Medien und in der Werbung nicht mehr auf Sprache geachtet wird.


Wir müssen auch eingestehen, dass in unserer Gesellschaft grundsätzlich nicht sehr viel gelesen wird und auch das Elternhaus leitet im Allgemeinen zu wenig zum Lesen an. Foto: Markt-Huter 

Lesen in Tirol: Wenn man die unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen von Schülerinnen und Schülern betrachtet, bleibt dann die wichtige Aufgabe diese auszugleichen nicht doch wieder den Schulen vorbehalten?

Regina Brandl: Das ist richtig und wir haben in dieser Beziehung ein relativ gutes Angebot. Es geht ja nicht nur um Lehrveranstaltungen, in denen Lesekompetenz drinnen steht, sondern auch um Lehrveranstaltungen wo es um Förderung, wo es um Individualisierung und Differenzierung geht, wo es um Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache aber auch um Diagnose von Lernschwierigkeiten geht. Dieses ganze Umfeld betrachte ich als Aufgabe der Schule. Trotzdem wehre ich mich dagegen, dass in der Gegenwart alle Defizite der Familie, der Gesellschaft oder der Politik an die Schule delegiert werden. Schule wird dadurch unglaublich mit Aufgaben überfrachtet, die die  Schule einfach nicht leisten kann.

Lesen in Tirol: Gibt es hier nicht Defizite im Bereich der Kommunikation, wenn es gilt aufzuzeigen, dass die Schulen mit dem Problem der abnehmenden Lesekompetenz alleine überfordert sind?

Regina Brandl: Ich möchte es mal so sagen, dass der differenzierte Diskurs über Fragen der Sprache und der Lesekompetenz kaum stattfindet. Stattdessen wird mit Schuldzuweisungen gearbeitet und ganz besonders problematisch erscheint es mir, dass in der Diskussion über die Ursachen sofort SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache in den Mittelpunkt rücken. Vor allem die politische Diskussion war sehr rasch dabei, die MigrantInnen-Kinder quasi zu Buhmännern für das schlechte Abschneiden bei der PISA-Studie zu machen. Die Auseinandersetzung mit den tieferen Problemen wird dadurch sehr eingeengt und trägt sicherlich nicht dazu bei, die wirklichen Ursachen für die schwachen Lese- und Schreibkompetenzen unsere Kinder zu finden.

Lesen in Tirol: Wie sollte ihrer Meinung nach eine fruchtbringende Diskussion über die mangelnde Sprach- und Lesekompetenz aussehen?

Regina Brandl: In der Diskussion müssten die bildungs- und gesellschaftspolitischen Ebenen des Problems berücksichtigt werden, wobei die Komplexität der Fragen nicht zugedeckt werden dürfen. Es muss klar sein, dass es keine einfachen Lösungen für die vorhandenen sprachlichen Schwierigkeiten gibt.

Lesen in Tirol: Werden derzeit zwischen den verschiedenen Bildungseinrichtungen Fragen zur Förderung der Lesekompetenz oder der Weckung der Leselust diskutiert?

Regina Brandl: Die Diskussion findet in der Studienkommission und in den Curricula-Gruppen der Hochschule selbst statt. Mit der Universität Innsbruck sind wir im Gespräch, es gibt aber noch keine Kooperation, einfach weil die Diskussion um die LehrerInnenbildung-Neu noch nicht so weit gediegen ist. In Zukunft müssen die Gespräche, die sich mit den notwendigen Kompetenzen von LehrerInnen beschäftigen, sicherlich verstärkt werden. Soviel ich weiß, muss auch die Universität in ihren Curricula Kompetenzenkataloge erstellen. Unseren eigenen Kompetenzenkatalog haben wir soeben im Entwurf fertig gestellt.


Ein differenzierter Diskurs über Fragen der Sprache und der Lesekompetenz findet kaum statt. Stattdessen wird mit Schuldzuweisungen gearbeitet. Foto: Markt-Huter

Lesen in Tirol: Wie halten sich die jeweiligen Unterrichtenden an der KPH - Edith Stein  im Bereich der Vermittlung von Lesekompetenzen auf dem aktuellsten pädagogischen Stand? Gibt es eine verpflichtende Weiterbildung?

Regina Brandl: Auch wenn es keine verpflichtende Weiterbildung für diesen Bereich gibt, nehmen Lehrende Weiterbildungsangebote dazu nach ihren Möglichkeiten in Anspruch, beispielsweise Veranstaltungen, wie sie vom Buchklub der Jugend angeboten werden.

Grundsätzlich ist die Frage nach einer verpflichtenden Weiterbildung ein großes Problem, weil mir Lehrende, die an einer Weiterbildung teilnehmen, im Unterricht fehlen, und ich schauen muss, dass dieser nicht zusammen bricht. Das andere Problem betrifft die Kosten der Weiterbildung.

Lesen in Tirol: In Deutschland wurden als Reaktion auf frühere PISA-Studien zahlreiche interessante Projekte zur Leseförderung ins Leben gerufen, an denen sich unterschiedlichste Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten beteiligt haben. Würden sie eine Zusammenarbeit verschiedener Einrichtung für den Bereich der Förderung der Lesekompetenz auch in Österreich oder Tirol begrüßen?

Regina Brandl: Auf jeden Fall, wobei ich die Projekte auf den Bereich der Lese-, Schreib- und Sprachkompetenz ausweiten würde. Ich bin davon überzeugt, dass diese Sprach-, Lese- und Schreibkompetenz nicht auf den reinen Fachunterricht eingegrenzt bleiben darf, sondern dass es gilt, Schülerinnen und Schüler in allen Fächern zur Sprachkompetenz anzuleiten und zu unterstützen.

Lesen in Tirol: Glauben Sie, dass die in der PISA-Studie festgehaltenen Schwächen unserer Schülerinnen und Schüler im Bereich der Lesekompetenz ausreichend in der Bevölkerung wahrgenommen werden?

Regina Brandl: So wie ich das sehe, ist es nicht im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen. Vielmehr gilt es in gewissen Kreisen geradezu als schick,  keine Bücher zu haben und keine Bücher zu lesen, was ich selbst ganz speziell im technischen Bereich bei jungen Männern erfahren konnte. Ich glaube generell, dass sich die Kultur der Sprache verändert hat. Damit meine ich wie man spricht und ob man eine ordentliche Sprache, mit ganzen Sätzen mit Subjekt und Prädikat pflegt.

Dazu gesellt sich ja noch das Phänomen des sekundären Analphabetismus, dass also Menschen das Lesen wieder verlernen. Was bedeutet das eigentlich für eine Gesellschaft, wenn ein Mensch die Schule verlässt und im Berufsleben das Lesen wieder verlernt oder nicht sinnerfassend lesen kann, weil es nicht mehr geübt wird? Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich beim Lesen um kognitive Leistungen auf höherer Ebene handelt, die ständig geübt werden müssen. Das heißt, sowohl sinnerfassendes Lesen als auch das Zusammenfassen von Texten müssen kontinuierlich geübt werden. Es scheint auch in unserer Berufswelt etwas nicht zu stimmen, wenn das Lesen nach der Schule wieder verlernt wird.


Im Volksschulbereich und im Bereich der Allgemeinen Sonderschule gibt es differenzierte Ausbildungsangebote zu Fragen der Lese- und Sprachförderung. Im Hauptschulbereich spielt die Lese- und Sprachförderung bei Studierenden mit Deutsch oder Englisch als Hauptfach eine wichtige Rolle. Bild: KPH-Edith-Stein

Lesen in Tirol: Die PISA-Studien zeigen regelmäßig, dass männliche Jugendliche in Bezug auf die Lesekompetenz und Leselust signifikant schlechter abschneiden als Mädchen. Wie bewerten sie diesen Umstand?

Regina Brandl: Die interessantere Frage dazu ist vielleicht, was in der Geschlechterbildung passiert, dass Männer tendenziell weniger Lesen und Schreiben wollen als Frauen und dass Lesen und Schreiben der weiblichen Seite zugeordnet wird? Wir erkennen darin, dass Lesen kein gesellschaftlicher Wert ist, der ja vor allem von den Männern bestimmt wird. Wenn es für Männer einfach nicht in ist etwas zu lesen, sagt dies natürlich auch sehr viel über die Strukturen in unserer Gesellschaft aus.

Ich glaube wirklich, und damit befinden wir uns wieder mitten in der Medienpädagogik, dass wir sehr genau untersuchen müssen, was die Medien machen, denen es gelingt eine Lernwelt schaffen, welche die Jugendlichen wesentlich direkter anspricht, als es beispielsweise in der Schule geschieht. Die Leselust ist meines Erachtens vor allem eine kulturelle Frage, genauso wie das Interesse an Musik. Wenn ich mich in den österreichischen Medien so umschaue, sehe ich lediglich den Sender Ö1, wo es ein Bücherradio gibt und wo Texte gelesen werden. Auf der anderen Seite erlebe ich aber auch junge Leute die sehr viel und erstaunlich anspruchsvolle Bücher lesen. Es ist vor allem diese große Kluft zwischen jenen, die gerne lesen und jenen die nicht lesen, die Sorgen macht.

Lesen in Tirol: Der Pisa-Test lässt erkennen: je komplexer die Herausforderungen an das Lesen im Test waren, desto schlechter haben die getesteten SchülerInnen abgeschnitten. Was wird im Bereich der Lehrerausbildung unternommen, um den Schülerinnen und Schülern im Unterricht das eigenständige Anwenden und Umsetzen des Gelesenen besser vermitteln zu können?

Regina Brandl: Die Entwicklung im schulischen Bereich war eine langfristige, weshalb wir auch mit kurzfristigen Maßnahmen nicht weiterkommen werden. Wenn auch immer wieder die PISA-Studien zitiert werden, müssen wir uns doch dessen bewusst sein, dass sich in zwei, drei Jahren nicht allzu viel verändern lässt. Es ist daher wichtig, diese Studien kritisch zu betrachten und zu schauen, was wirklich abgeprüft wurde.

Auf der anderen Seite bin ich aber auch sehr froh und dankbar für solche Untersuchungen, wann immer sie dabei helfen, das Bildungssystem in Österreich zu optimieren. Wenn es gelingt, wirklich in Bildung zu investieren und sie aus der Parteipolitik heraus zu nehmen und zu vermitteln, dass es wirklich wichtig ist unsere Jugend zu bilden, dann begrüße ich jede Menge Studien.

Lesen in Tirol: Der Anteil der Leserisikogruppe bei den MigrantInnen liegt in Tirol mit ca. 60 % relativ hoch, was auf mangelnde Deutschkenntnisse schließen lässt. Gibt es Programme bei der Lehreraus- und -fortbildung, die der Problematik fehlender Deutschkenntnisse im Unterricht Rechnung tragen?

Regina Brandl: Wir haben zwar Lehrveranstaltungen zu diesem Thema, nur müssten wir in diesem Bereich noch ein Stück weitergehen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass MigrantInnen ihre Muttersprache pflegen. Hier befinden wir uns noch in der Diskussion und Planung, was wir hier anbieten können. Die Stärkung der Muttersprache und die Stärkung der Deutschkenntnisse müssen Hand in Hand gehen.


Wenn es gelingt, in Bildung zu investieren und sie aus der Parteipolitik heraus zu nehmen und zu vermitteln,wie wichtig es ist unsere Jugend zu bilden, dann begrüße ich jede Menge Studien. Foto: Markt-Huter

Das Ganze muss natürlich gut überlegt sein. Sobald es nämlich heißt, dass Türkisch unterrichtet wird, entsteht daraus sofort eine parteipolitische Angelegenheit, wie die derzeitige Aufregung bei der Diskussion um Türkisch als Maturafach zeigt. Eine vollkommen lächerliche Geschichte, wo doch lediglich zu den 14 möglichen Sprachen eine weitere hinzu kommen soll.

Lesen in Tirol: Besteht bei der Leseförderung im Bereich der pädagogischen und didaktischen LehrerInnenausbildung derzeit eine Zusammenarbeit zwischen der KPH und der Universität Innsbruck?

Regina Brandl: Im Bereich der Leseförderung gibt es derzeit keine Zusammenarbeit. In Bezug auf die Sprachenförderung und Deutsch als Zweitsprache sind wir mit der Universität im Gespräch.

Lesen in Tirol: Wie sollte sich die Ausbildung der LehrerInnen entwickeln, um in Zukunft bei der Vermittlung von Grundkompetenzen noch erfolgreicher zu sein?

Regina Brandl: Die derzeitige Diskussion um eine LehrerInnenbildung neu sieht eine Anhebung der Ausbildungszeit auf vier Jahre vor, was ich für sehr wichtig halte. Ich bin überzeugt davon, dass die derzeitige Ausbildungszeit von drei Jahren, wonach die AbsolventInnen sofort im Unterricht eingesetzt werden, geändert werden soll. Im Gegensatz zum höheren Schulbereich gibt es für den Pflichtschulbereich kein einjähriges Unterrichtspraktikum. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch hier das erste Dienstjahr begleitend absolviert wird und damit eine weitere Ausbildung und Weiterbildung erfolgen kann. Auch die geplante Induktionsphase in der LehrerInnenbildung neu, die Aufwertung zum Masterstudium sowie die weitere Möglichkeit der Spezialisierung durch Zusatzausbildungen halte ich für zukunftsweisend.

Wichtig ist es auch, die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Schultypen zu verstärken, wie es in der LehrerInnenbildung neu möglich sein soll. LehrerInnen, die in der Grundschule unterrichten, erhalten mit einer zusätzlichen Ausbildung die Möglichkeit auch in der Sekundarstufe I und II zu unterrichten. Die Möglichkeit zwischen den verschiedenen Schulstufen wechseln zu können, hilft sicherlich dabei, die Begeisterung für den Lehrberuf zu erhalten und sich neuen Herausforderungen zu stellen.

Lesen in Tirol: Das derzeitige System erlaubt es, dass HauptschullehrerInnen Fächer unterrichten dürfen oder müssen, in denen sie nicht ausgebildet worden sind. Werden hier durch die fehlende fachliche Kompetenz nicht bereits Schwierigkeiten im Unterricht vorprogrammiert?

Regina Brandl: Ich halte das für ein großes Problem, auch wenn es LehrerInnen gibt, die für diese Fächern eine zusätzliche Lehrbefähigung absolvieren. Ich bin der Meinung, dass jemand - nach der geplanten vierjährigen Ausbildung - für ein drittes Fach eine weitere zweijährige Ausbildung absolvieren soll.

Erst die fachliche Sicherheit bietet die nötige Grundlage, damit sich LehrerInnen auf die pädagogischen Prozesse konzentrieren können. Das ist derzeit im Hauptschulbereich sicherlich ein ganz schwieriges Problem. In der Diskussion, die derzeit im Bundesministerium zur LehrerInnenbildung neu geführt wird, scheint mir das jedoch erkannt worden zu sein. Ich bin nun sehr neugierig, wie dieser Prozess weiter verlaufen wird.


Die Frage nach den wesentlichen Kompetenzen von LehrerInnen wird besonders heftig diskutiert, weil damit grundsätzlich geklärt werden muss, was ein guter Lehrer oder was eine gute Schule ist. Foto: Markt-Huter

Lesen in Tirol: Was ist von der derzeitigen Diskussion im Bereich der Bildungspolitik um die Schulreform und die Reform der LehrerInnenausbildung zu halten?

Regina Brandl: In der Bildungspolitik müssen wir  unterschiedliche Ebenen betrachten. Äußerst positiv erlebt habe ich die Zusammenarbeit von Unterrichtsministerin Claudia Schmied und Wissenschaftsministerin Beatrix Karl. Hier haben zwei Frauen ohne Profilierungssucht gemeinsam an einem Thema gearbeitet. Ich hoffe, dass Minister Karlheinz Töchterle in diesem Sinne weitermachen wird.

Auf der anderen Seite wird Bildungspolitik in Österreich vehement parteipolitisch vereinnahmt und gilt zudem immer gleich als zu teuer. Auch wenn ich nichts von großen Sprüchen halte, aber wenn wir die Bildung unserer Kinder, Jugendlichen und Frauen vernachlässigen, wird sich das für die Zukunft der Gesellschaft als sehr bedenklich erweisen.

Ich bin aber davon überzeugt, dass dieser bildungspolitische Diskurs, der von den Ministerinnen Karl und Schmied eingeleitet worden ist, nicht mehr aufzuhalten ist. Die verschiedenen Bildungseinrichtungen haben derzeit gute Möglichkeiten sich einzubringen. Wir diskutieren an der Hochschule selbst sehr viel über die Frage, welche Konzepte von LehrerInnenbildung wir uns vorstellen können. Vor allem die Frage nach den wesentlichen Kompetenzen von LehrerInnen wird besonders heftig diskutiert, weil damit grundsätzlich geklärt werden muss, was ein guter Lehrer oder was eine gute Schule ist. Die Diskussion um die Zukunft der Schule findet also sowohl an den Standorten als auch österreichweit statt.

Gleichzeitig wurde damit in den Universitäten eine Diskussion um die LehrerInnenausbildung angestoßen und erst jetzt beginnen sich die Universitäten wirklich mit ihren Lehrämtern zu beschäftigen. Aber auch die Einrichtung der Neuen Mittelschulen sehe ich als einen Teil dieser ganzen Diskussion, wobei ich unbedingt für die gemeinsame Ausbildung der 10- bis 14-jährigen bin. Wie diese in unserem Regelsystem etabliert werden soll, muss noch geklärt werden.

Wir befinden uns derzeit also in einem sehr spannenden allgemeinen bildungspoltischen Diskussionsprozess. Es wäre wirklich schön, wenn es uns gelingen würde, eine schrittweise Verbesserung unseres Schulsystems zu erreichen.

Lesen in Tirol: Vielen Dank für das Interview!

(Das Interview wurde am 20.4.2011 geführt.)

 

>> Lesen und Leseförderung in Tirol im Zeichen der PISA-Studie 2009, Teil 1

>> Lesen und Leseförderung in Tirol im Zeichen der PISA-Studie 2009, Teil 3

>> Lesen und Leseförderung in Tirol im Zeichen der PISA-Studie 2009, Teil 4

 

 

Andreas Markt-Huter, 25-10-2011

 


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KPH-Edith Stein

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