Innsbrucker Welttag des Buches 2008: Tiroler Buchmeile
Lesungen mit renommierten Autorinnen und Autoren im Halbstunden-Takt - das war die Tiroler Buchmeile 2008 in Innsbruck. Das breite literarische Programm bot Texte für jeden Geschmack und reichte von Lyrik, Erzählungen, Kriminalgeschichten bis hin zur Kinder- und Jugendliteratur.Auf der "Tiroler Buchmeile" fehlte die feine Klinge der Satire ebensowenig wie der aufwühlende Kriminalroman oder die unglaublichen Geschichten aus der Innsbrucker Sagenwelt.
Wer am 23. April, dem Welttag des Buches, die Gelegenheit beim Schopf ergriff und sich den Nachmittag freihielt, wurde dafür mit einem ausgewogenen und unterhaltsamen Literatur-Programm belohnt. Zehn Tiroler Autorinnen und Autoren lasen ab 15 Uhr im Halbstunden-Takt in Kaffees der Innsbrucker Altstadt. Wer sich vorgenommen hatte, alle Veranstaltungen zu besuchen, musste sich außerdem als Läufer betätigen, so eng waren die Lesungen der einzelnen Autorinnen und Autoren aneinander gereiht.
Während im vergangenen Jahr die Tiroler Buchmeile bereits am Vormittag gestartet hatte, wurde in diesem Jahr das Veranstaltungs-Programm gestrafft und ganz auf den Nachmittag und Abend konzentriert. Pünktlich um 15 Uhr eröffnete Markus Renk, Fachgruppenobmann der Buch- und Medienwirtschaft Tirol, den Lesenachmittag der Tiroler Buchmeile im Café Munding. In seiner Ansprache konnte er auf bereits sechs Jahre Tiroler Buchmeile zurück blicken. Allein im vergangenen Jahr wurde der Lesetag von mehr als 2.000 interessierten Leserinnen und Lesern besucht.
Um Punkt 15 Uhr eröffnete Fachgruppenobmann Markus Renk im Café Mundig die 6. Tiroler Buchmeile. Im vergangenen Jahre hatten mehr als 2.000 Personen die Veranstaltungsreihe besucht. Foto: Markt-Huter
Die Eröffnungslesung übernahm die in Wien geborene Journalistin und Schriftstellerin Eva Maria Teja Mayer. In ihrer vorangehenden Einleitung berichtete sie in sehr persönlichen Worten über ihre Erlebnisse während ihrer Reise im Kaschmir und informierte über den Guerillakrieg, der mittlerweile seit über 60 Jahren das Land lähmt. Die engagierte Autorin bezog aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen klar Position für die Guerillkämpfer und bezeichnet den Guerillakrieg als Befreiungskrieg. Damit stehe sie bewusst im Gegensatz zu den europäischen Medien.
Eva Maria Teja Mayer hatte im Jahr 2005 das große Erdbeben in Kaschmir am eigenen Leib mit erlebt und diese Erfahrung in ihrem Jugendroman Ein neuer Morgen für Munir verarbeitet. Geschrieben hat sie den im Tyrolia-Verlag erschienen Roman für Leser ab sechs Jahren.
Eva Maria Teja Mayer hat in ihrem Jugendbuch Ein neuer Morgen für Muni ihre sehr persönlichen Erfahrungen im Kaschmir literarisch verarbeitet. Foto: Markt-Huter
Das Buch erzählt die Geschichte eines Jungen in einem Bergdorf in Kaschmir, der den Einsturz seiner Schule beim schweren Erdbeben 2005 überlebt und dabei lernt, Verantwortung für seine Geschwister und Mitschüler zu übernehmen.
Dieser Jugendroman lenkt den Blick auf die Werte von Mitmenschlichkeit und Solidarität in einer fremden Kultur und zeichnet ein Bild von der konkret gelebten Lebenswelt des Islams in Pakistan. Ein anderes, als es die Medien für gewöhnlich vermitteln.
I geh Lesen
Die daran anschließende Lesung im Café Munding wurde von der Märchen- und Sagenspezialistin Berit Mrugalska gestaltet, in dem sie Kostproben aus ihrem im vergangenen Jahr im Tyrolia-Verlag veröffentlichten Buch Innsbrucker Sagen vortrug. Am Anfang stellte die Autorin verschiedene Versionen der bekanntesten Innsbrucker Sage vor, der Frau Hitt.
Die Sagenexpertin Berit Mrugalska las aus ihrem gemeinsam mit Wolfgang Morscher herausgegebenen Sammelband Innsbrucker Sagen. Foto: Markt-Huter
Zu den weiteren Leseproben gehörte unter anderem die ein wenig merkwürdig anmutende Sage von der Wilden als Magd. Diese Sage handelt von einer Magd, deren Namen niemand kannte, die aber treu bei einem Bauern gearbeitet hat. Eines Tages aber begegnet dem Bauern im Wald ein Riese, der ihm zuruft: Ochsentreibar, Jochtrogar, sog dr Rauchrindn, d Stanzi Manzi ist hin! Als die Magd davon erfährt, packt sie ihre Sachen und verschwindet auf nimmer Wiedersehen im Wald.
Und so schritt die Tiroler Buchmeile im Halbstundentakt und von Café zu Café unaufhaltsam voran und zog ein zahlreich erschienenes Publikum aller Alters- und Interessensgruppen in seinen Bann.
Vom Café Munding in der Innsbrucker Altstadt wechselte die Tiroler Buchmeile ins Café Kunstpause im Landesmuseum Ferdinandeum, wo der beliebte Tiroler Mundartdichter Sepp Kahn ein zahlreich erschienenes Publikum köstlich unterhalten konnte.
Zunächst gab er Kostproben aus seinen frühen Gedichten zum Besten und versetzte die Zuhörereinnen und Zuhörer mit seiner liebenswerten und humorvollen Art relativ rasch in gute Stimmung. Anschließend las er, nachdem er die handelnden Personen kurz vorgestellt hatte, aus seinem neu erschienen Kriminalroman Der Birnbaum schweigt.
Zu Sepp Kahns zahlreichen lyrischen Arbeiten und Erzählungen hat sich nun auch ein Kriminalroman, Der Birnbaum schweigt dazu gesellt, der beim Publikum großen Anklang fand. Foto: Markt-Huter
Sepp Kahns Kriminalroman ist so ungebrochen kühn und griffig, dass man als Leser diesen Fall bei der ersten Lektüre kaum glaubt. Die Figuren treten oft in eine Ich-Perspektive und erzählen mit einem amputierten inneren Monolog, was sie jetzt denken, tun und vergessen werden. [...]
Sepp Kahn dosiert seinen Roman professionell und hinterzündig. Alles könnte echt sein, vielleicht ist es aber auch nur gut erfunden. Jedenfalls hält Sepp Kahn seine Leser ordentlich auf Trab. Ein unbarmherzig wilder Bauernkrimi mit perfekt-ländlichem Charme!
Helmuth Schönauer: Sepp Kahn, Der Birnbaum schweigt
Anschließend war ab 16 Uhr 30 der Tiroler Volkskundler und Schriftsteller Hans Haid im Café Kunstpause zu hören. Einleitend erzählte er von seinen Erfahrungen mit Lawinen, von der Geschichte des Similaun und von der Bedeutung des Berges für das Ötztal. Anschließend las er aus seinem neu erschienenen Roman Similaun, in dem er die Mythologie der Alpen mit einer schonungslosen Kritik an den gegenwärtigen Verhältnisse verbindet. Mit seiner Darstellung, wie aus wirtschaftlichem Interesse in rücksichtloser Weise die Natur ausgebeutet wird und ein Tal seine Seele an den Tourismus verkauft, gelang es Hans Haid ohne Mühe, mit seiner Geschichte die Zuhörer in den Bann zu ziehen.
Hans Haid stellt mit seinem neuen Roman Similaun einen Berg, seine Geschichte, aber auch seine Zerbrechlichkeit in den Mittel der Handlung. Foto: Markt-Huter
Hans Haid erzählt im Roman Similaun von der Zerbrechlichkeit des Eises und der Finsternis, Gesänge aus alten Überlieferungen sind in bedrohliche Sätze aus der Apokalypse hineingeschoben. Der Protagonist Virgil ist ein zeitloser Schäfer, der alle Heimatkunden seiner jeweiligen Zeit studiert hat und sie als Chronist jenseits der Epochen aneinanderreiht wie ein Gletscher seine Massen ungehemmt ins Tal schickt.
Helmuth Schönauer: Hans Haid, Similaun
Daran anschließend unterhielt im Salon Pauli des Cafés Katzung Oswald Köberl, ehemaliger Leiter der Abteilung Hörspiel und Literatur bei Radio Tirol, ein zahlreich erschienenes Publikum. Köberl gilt bereits seit Jahren als fixe Größe der Tiroler Buchmeile, an der er auch im vergangenen Jahr teilgenommen hatte. Am Beginn las Köberl aus seinem neu erschienenen Lyrikband Ich sage ein uraltes Wort stimmungsvolle Gedichte. Wie Lyrik wirken kann, zeigte die absolute Ruhe und Spannung, die sich urplötzlich in den klassischen Räumlichkeiten des Salons Pauli ausbreiteten.
Prof. Oswald Köberl gab zahlreiche Kostproben aus seinem vielfältigen literarischen Schaffen zum Besten und verstand es bestens, sein Publikum mit nachdenklichen aber auch lustigen Geschichten und Gedichten zu unterhalten. Foto: Markt-Huter
Problemlos wechselte der Autor zum heiter unterhaltsamen Teil seiner Lesung und trug Texte aus seinem Erzählbands Crescendo vor, in der Erlebnisse und Erfahrungen aus der Welt der Musik im Mittelpunkt stehen. Abschließend gab es Kostproben aus seinem Lyrikband: Lachende Sonette und Verrückte Reimereien, die beim Publikum großen Anklang fanden.
Um 17 Uhr 30 wechselte die Tiroler Buchmeile ins Café Wiener, wo der Innsbrucker Schriftsteller Helmuth Schönauer aus seinem soeben erschienenen Lyrikband Die Geilheit des Tages vortrug. In seiner Einleitung referierte Schönauer über die Eigenheiten des lyrischen Ichs aus. Lyrik gebe dem Ich des Autors einen Schutz, wie es die Prosa nicht zu bieten vermag. Aus diesem Grund versuche er - neben seinen jährlichen Prosaromanen - alle zwei Jahre mit einem Lyrikband der eigenen Poesie wieder zum Durchbruch zu verhelfen. Seine Gedichte bezeichnete er sinnigerweise als HTML-Lyrik, weil sie das Ziel verfolgen würden, einen satten Eindruck zu hinterlassen.
Für gute Unterhaltung sorgte erwartungsgemäß der Innsbrucker Autor Helmuth Schönauer, der Nachdenkliches bis Heiteres aus seinem neuen Lyrikband Die Geilheit des Tages rezitierte. Foto: Markt-Huter
Das AutorInnen-Duo Egon A. Prantl und Andrea Steinlechner präsentierte anschließend den gemeinsam verfassten pornographischen Roman Madagaskar. Bei diesem Gemeinschaftsprojekt handelt es sich um einen Liebesroman, deren Bekenntnisse, Geständnisse, Erinnerungen, Erwartungen, Träumen und Phantasien sich in Form von E-Mail-, Tagebuch- und SMS-Eintragungen wiederfinden.
Zu Beginn der Lesung bemerkte Prantl, dass der Roman nur ein geringers Publikum ansprechen werde. Ein mathematisches Institut in Innsbruck habe errechnet, dass in Innsbruck voraussichtlich nur neun Menschen und ein Hund mit seinem Text zurechtkommen werden. Worauf aus dem Zuschauerraum sofort Hundegebell zu hören war. Die Lesung der pornographischen Texte verlief in Dialogform zwischen Egon A. Prantl und Andrea Steinlechner und sorgte anschließend für heftige Diskussionen mit dem Publikum.
Heftige Diskussionen bei Teilen des Publikums löste das Autoren-Duo Egon A. Prantl und Andrea Steinlechner mit der Lesung aus ihrem Roman Madagaskar aus. Foto: Markt-Huter
Wieder zurück im Café Katzung gab der Schriftsteller und Verleger Martin Kolozs eine Lesung aus seinen neu erschienenen Mördergeschichten Bar. Das Buch bildet die Fortsetzung und den Abschluss einer Erzählung aus seinen Kriminalgeschichten Mon ami. Den Zuhörerinnen und Zuhörern öffnete sich bei dieser Lesung das Innenleben des Serienmörders Jakob Schwind und ließ sie dessen Gedankengänge und Empfindungen hautnah miterleben.
Martin Kolozs erzählt zurückgenommen, cool, präzise wie eine phantastische Mathematikaufgabe. Manchmal schimmern Elemente großer Kriminalliteratur auf als Zitat und beruhigen den Leser: Du bist auf einer heißen Literaturspur. Denn die Konsequenz dieser Literatur kann nur lauten: Im Krimi gibt es letztlich keine Wahrheit außer der Wahrheit des Krimis.
Helmuth Schönauer: Martin Kolozs, Bar
Autor und Verleger Martin Kolozs las im Salon Pauli aus seinen Kriminalgeschichten Bar und versetzte die Zuhörerinnen und Zuhörer in die Gedankenwelt eines Serienmörders. Foto: Markt-Huter
Um 19 Uhr gab als vorletzter Autor der Südtiroler Schriftsteller Kurt Lanthaler in den Räumlichkeiten des Cammerlanders eine Kostprobe aus seinem 2007 erschienenen Roman Das Delta. Der Roman erzählt die Geschichte des eigenartigen Ingenieurs Fedele Conte Mamai, der als Säugling im Schwemmland des Po aufgefunden wurde und auf einem Hausboot am Po heranwuchs. Es ist eine Geschichte vom Essen und vom Weiterziehen, von den Sprachen und den Sprichwörtern. Kurt Lanthaler, der heute in Berlin und Zürich lebt, wurde einem breiten Publikum vor allem durch seine Kriminalromane rund um Tschonnie Tschenett ein Begriff.
Kurt Lanthalers Roman ist ein genial gelungener Versuch, etwas Schlierig und Diffuses wie dieses Zwitterwesen von Wasser und Land zu beschreiben. Zu diesem Zweck ist der Roman in 48 Kapitel aufgesplittet, die sogar ganz cool wie in einem Sachbuch als Inhaltsverzeichnis zusammengefasst sind. Die Kapitelüberschriften sind immer italienisch deutsch gehalten, zwitterhaft eben, wie der ganze Text.
Helmuth Schönauer: Kurt Lanthaler, Das Delta
Passend zur italienischen Handlung des Romans las der Südtiroler Autor Kurt Lanthaler im Café-Restaurant Cammerlander aus seinem Buch Das Delta. Foto: Markt-Huter
Wie im vergangenen Jahr endete der außergewöhnliche Lese-Marathon der Tiroler Buchmeile mit der Abschlussveranstaltung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. In diesem Jahr fand die Lesung jedoch im großen Lesesaal der Bibliothek statt. Als Abschlussgast der Tiroler Buchmeile war der bekannte Innsbrucker Autor Alois Hotschnig eingeladen worden, der aus seinem Erzählband Die Kinder beruhigte das nicht vortrug. Dieser Erzählband, so der Autor, habe für ihn beim Schreiben etwas ganz besonderes bedeutet, weil er sich hier entschlossen habe, erstmals etwas sehr persönliches niederzuschreiben.
Alois Hotschnigs neun neue Erzählungen sind unter dem pädagogisch abwinkenden Titel Die Kinder beruhigte das nicht aufgefädelt. Es geht dabei um Versuche, etwas durch Erzählen in Ordnung zu bringen. Aber das Ergebnis ist jeweils aufwühlend frustrierend, wie es eben Gutenachtgeschichten sind, welche Kinder so aufwühlen, dass sie erst recht nicht einschlafen können.
Helmuth Schönauer: Alois Hotschnig, Die Kinder beruhigte das nicht
Die letzte Lesung im Rahmen der Tiroler Buchmeile 2008 gestaltete der Innsbrucker Schriftsteller Alois Hotschnig mit einer Lesung aus seinem Erzählband Die Kinder beruhigte das nicht. Foto: Markt-Huter
Insgesamt blieb nach knapp sechs Stunden Literatur-Lesung ein satter Eindruck zurück. Die Tiroler Buchmeile 2008 beeindruckte mit ihrem breit gefächerten literarischen Angebot und die Möglichkeit, innerhalb eines halben Tages eine Vielzahl außerordentlicher Schriftstellerinnen und Schriftsteller hautnah erleben und hören zu können. Die zahlreich zu den einzelnen Veranstaltungen erschienenen Zühörerinnen und Zuhörer geben den Veranstaltern mit der Einrichtung dieser österreichweit einzigartigen Leseveranstaltung zum Welttag des Buches recht. Man darf sich somit bereits heute auf das Programm für das Jahr 2009 freuen.
>> Rückblick: Die Tiroler Buchmeile 2007
Andreas Markt-Huter, 25-04-2008