Lesen und Schreiben als Grundrecht - 8. September Weltalphabetisierungstag

Rund ein Fünftel aller erwachsenen Menschen dieser Erde können weder lesen noch schreiben! 1965 wurde aus diesem Grund der World Literacy Day der Weltalphabetisierungstag ins Leben gerufen, der jedes Jahr am 8. September auf dieses Problem aufmerksam machen soll.

Wurde das Problem des Analphabetismus früher vor allem mit Unterentwicklung und den Ländern der 3. Welt in Verbindung gebracht, musste in den letzten Jahren auch in den Industrieländern das Phänomen des Analphabetismus zur Kenntnis genommen werden.

Von Analphabetismus wird gesprochen, wenn Erwachsene entweder über keine oder nur über unzureichende Lese- und Schreibkenntnisse verfügen. Bei Personen, die keine schulische Ausbildung erhalten haben, wird von einem natürlichen oder primären Analphabetismus gesprochen.

Im Begriff des funktionalen Analphabetismus, wird auf die gesellschaftliche Bedeutung des geschriebenen Wortes Rücksicht genommen. Ob jemand als funktionaler Analphabet gilt, ist somit nicht nur von den individuellen Lese- und Schreibkenntnissen abhängig, sondern darüber hinaus auch davon, welche Lese- und Schreibfähigkeiten innerhalb einer jeweiligen Gesellschaft erforderlich sind und erwartet werden. Sind die individuellen Kenntnisse niedriger, als die in einer Gesellschaft als selbstverständlich erwarteten, liegt funktionaler Analphabetismus vor. Der Begriff beschreibt somit nicht Analphabetismus im wörtlichen Sinn, sondern das Nicht-Verwenden-Können von Schrift.


In Deutschland wurde das Phänomen des funktionalen Analphabetismus bereits Ende der 70-iger Jahre verstärkt wahrgenommen und schon bald die ersten Alphabetisierungskurse für deutschsprachige Erwachsene zunächst im Strafvollzug und dann an Volkshochschulen eingerichtet. Quelle: Frankfurter-Akademie

Alphabetisierung in Tirol und Österreich

In Tirol hat sich vor allem die Volkshochschule Tirol in den letzten Jahren mit dem Thema Analphabetismus auseinander gesetzt und bietet seit Herbst 2008 Grundbildungskurse für funktionale AnalphabetInnen in Innsbruck, Schwaz und Kufstein an. Auch die Volkshochschule Tirol nimmt am 8. September an den österreichweit stattfindenden Veranstaltungen zum Weltalphabetisierungstag teil.

Mit einer außergewöhnlichen Lese-Aktion motivierten die Stadt Innsbruck, die Innsbrucker Verkehrsbetriebe und die Volkshochschule Erwachsene mit Schwierigkeiten bei den Kulturtechniken zum Lesen-Lernen.

Am 8. und 9. September können in Bussen und Straßenbahnen der IVB rund 1.000 Bücher im Rahmen einer Bookcrossing-Aktion geangelt werden. Damit wird deutlich, dass Bücher Freude machen. Aber nicht alle kennen diese Freude, da viele nicht (mehr) lesen können: Alle Bücherfreunde sind deshalb eingeladen, möglichst viele Menschen mit Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen zu motivieren, sich über das Alfa-Telefon der Volkshochschule (0650 41 53 303) über die Grundbildung zu informieren.
VHS-Tirol: Grundbildung

 


In Tirol hat sich die Volkshochschule-Tirol in den letzten Jahren mit dem Thema Analphabetismus auseinandergesetzt und bietet Kurse für diesen Bereich an. Quelle: VHS-Tirol

Auch österreichweit werden Passanten am 8. und 9. September mit der Aktion Bookcrossing auf das nach wie vor verschwiegene Thema Analphabetismus aufmerksam gemacht. In allen Hauptstädten Österreichs können im Rahmen dieser Aktion speziell gekennzeichnete Bücher an den verschiedensten öffentlichen Orten gefunden und nach dem Lesen wieder an andere weiter gegeben werden.

Ebenfalls am Weltalphabetisierungstag startet im Bundesinstitut für Erwachsenenbildung in Strobl der Lehrgang Alphabetisierung und Basisbildung. Modul 1 findet vom 8. bis 12. September statt.

Analphabetismus und soziale Ausgrenzung als gesamteuropäisches Problem

Seit 2001 wird Analphabetismus auch offiziell als soziales Problem in Europa zur Kenntnis genommen. In der Entschließung des Europäischen Parlaments zu Analphabetismus und sozialer Ausgrenzung (2001/2340 (INI)) fordert das Europäische Parlament die Kommission auf ein Grünbuch und einen Aktionsplan vorzulegen, um dem Analphabetismus aktiv entgegen treten zu können.

Zusammenfassung der Kernaussagen der Entschließung:

  • Lesen und Schreiben stellen ein Grundrecht dar.
  • Lehrer und Eltern haben die Verpflichtung Kindern das Erlernen von Lesen und Schreiben zu ermöglichen.
  • Die Bekämpfung des Analphabetismus ist unumgängliche Grundlage für die persönliche Freiheit und den Zugang zu allen Grundrechten.
  • Die Bekämpfung des Analphabetismus ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft, vor allem der öffentlichen Hand.
  • Derzeit sind zwischen 10 - 30 % der Bevölkerung der EU nicht in der Lage Drucksachen und Schriften zu lesen die für das Funktionieren in der Gesellschaft und für die persönliche Entwicklung wichtig sind.
  • Es sind noch keine europäischen Statistiken und Definitionen für Analphabetismus augearbeitet.
  • Es gibt bisher keine gemeinsame kontinuierliche Bekämpfung des Analphabetismus auf europäischer Ebene.
  • Aus humanitären und sozialen Gründen darf auch auf den wiederkehrenden Analphabetismus vor allem älterer Menschen nicht vergessen werden.
  • Ohne die Schreib- und Lesefähigkeiten der Europäer zu fördern kann das Ziel nicht erreicht werden, Europa zum wettbewerbfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.


Das Europäische Parlament machte bereits im Jahr 2001 auf das wirtschaftliche,
soziale und persönliche Problem des Analphabetismus aufmerksam und forderte
die Europäische Kommission auf, entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Bild: Wikipedia

Der Europäische Rat fordert die Kommission auf Indikatoren und Richtlinien für den Bereich des Analphabetismus einzuführen. Es soll ein so genanntes Grünbuch über Analphabetismus, Zahlen- Analphabetismus und soziale Ausgrenzung ausgearbeitet werden, das auch einen Zeitplan für konkrete Maßnahmen beinhaltet. Die verschiedenen Formen des Analphabetismus sollen definiert werden, um einen Vergleich zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu ermöglichen und Entwicklungen und Veränderungen erkennen zu könne.

Die politischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Analphabetismus sollen mit den Maßnahmen zur Förderung des Zugangs zu allen Grundrechten, zu Beschäftigung und sozialem Schutz, Chancengleichheit u.a. koordiniert werden. Die Auswirkungen der gemeinsamen Maßnahmen sollen jährlich bewertet werden. Es soll ein Kommunikationsnetz eingerichtet werden, das für alle Betroffenen zugänglich ist und eine statistische Datenbank über Analphabetismus in allen EU-Ländern eingerichtet.

>> Den gesamten Text der Entschließung des Europäischen Parlaments finden Sie
     im weiterführenden Link.

 

Eine Umsetzung in Österreich verzögert sich

In Österreich lief die Auseinandersetzung mit dem Thema Analphabetismus von politischer Seite zunächst nur sehr schleppend an. Die Warnungen der UNESCO, dass Schätzungen zu Folge auch in Österreich mehr als 300.000 Personen vom Analphabetismus betroffen sein dürften, wurden noch 2005 von der damaligen Unterrichtsministerin Gehrer als unbewiesen abgetan.

Erst 2008 wurde das Problem Analphabetismus in Österreich auch von politischer Seite angesprochen und die Teilnahme am neuen OECD-Programm PIAAC zur Bewertung der Kompetenzen von Erwachsenen beschlossen. Im Herbst 2009 wird mit den Vorbereitungen für die ersten Tests begonnen, mit denen die Basiskompetenzen von 5.000 Österreicherinnen und Österreichern im Alter zwischen 16 - 64 Jahren festgestellt werden sollen. Erste Feldtests sollen 2010 durchgeführt werden, die eigentliche Erhebung wird voraussichtlich 2011 erfolgen und 2013 kann mit den Ergebnissen des ersten Tests gerechnet werden.


Auf der Homepage des Bundesministeriums für Unterricht heißt es über die Teilnahme
am PIAAC Programm noch etwas vorsichtig: Vorbereitung einer eventl. Teilnahme
an PIAAC (Programme for International Assessment of Adult competencies),
1. Erhebung 2011. Quelle: bmukk

Mit Hilfe des Programms zur Internationalen Bewertung der Kompetenzen von Erwachsenen kurz PIAAC genannt (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) soll das Kompetenzniveau von Erwachsenen analysiert und verglichen werden. Im Mittelpunkt des Tests stehen Fähigkeiten die für das Berufsleben und lebenslanges Lernen vorausgesetzt werden wie z.B. Lesen, Schreiben, Mathematik und IT-Kompetenzen.

Analphabetismus als weltweites Problem

Von Seiten der UNESCO wird am 8. September jedes Jahr darauf hingewiesen, dass es in vielen Teilen der Erde immer noch ein Privileg ist, Lesen und Schreiben zu erlernen. Laut Angaben der UNESCO wachsen ca. 77 Millionen Kinder ohne Schulbildung auf und ungefähr 780 Millionen Erwachsene, hauptsächlich in den Entwicklungsländern, gelten als Analphabeten. Mit einem Anteil von etwa zwei Dritteln sind Frauen ganz besonders betroffen. Die meisten Analphabeten leben in den Ländern Afrikas südlich der Sahara, in den arabischen Staaten und in Süd- und Westasien.

Jedes Jahr vergibt die UNESCO zum Weltalphabetisierungstag Literacy Prizes, das sind Preise mit denen weltweit Alphabetisierungs-Projekte gewürdigt werden. Sowohl der von Korea finanzierte King Sejong Literacy Prize als auch der von China zur Verfügung gestellte Confucius Prize for Literacy wird jeweils an zwei Personen oder Einrichtungen vergeben.


Weltweit werden zahlreiche Alphabetisierungsprojekte ausgeführt. Vor allem in den
sogenannten Entwicklungsländern ist Analphabetismus bei Erwachsenen weit verbreitet.
Bild: The Literacy Project

Den ersten King Sejong Literacy Prize erhielt 2009 Tin Tuas Literacy and Non-Formal Education Programme, das im Osten von Burkino Faso in Afrika durchgeführt worden war. Den zweiten Preis bekam die Organisation Nirantar für das Projekt Khabar Lahariya - news waves - in Uttar Pradesh, In Nordindien.

Ein Confucius Prize for Literacy ging an die britische Organisation SERVE Afghanistan für ihr Pashai Language Development Project, ein Ausbildungsprogramm vor allem für Frauen und Mädchen in Afghanistan.
Der zweite Confucius Prize for Literacy wurde dem kommunalen Alphabetisierungsrat der Gemeinde Agoo auf den Philippinen zugesprochen für ihr Programm zur Weiterbildung und zum lebenslangen Lernen.

Eine ehrenhafte Nennung durch die UNESCO erfährt das außerschulische Erwachsenenbildungsprogramm des Erziehungsministeriums von Bhutan für ihren ganzheitlichen Ansatz zur Alphabetisierung und ihrem Erfolg, damit selbst entlegene Regionen zu erreichen.

Weiterführende Informationen zum Thema Analphabetismus 


>> Wenn Menschen nicht lesen und schreiben können!
>> Analphabetismus in Tirol
>> Alphabetisierungskurse für MigrantInnen

 


Informationen über die Grundbildung für Menschen mit Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen erhalten Sie über das Alfa-Telefon der Volkshochschule-Tirol

Tel. Nr.: 0650 41 53 303

 

 

Weiterführende Links:
EU-Parlament: Analphabetismus und soziale Ausgrenzung
OECD: Litaracy in the Information Age (1 MB)

 

Andreas Markt-Huter, 04-09-2009

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