Oswald Blassnig, Mit Verlaub, Herr O!

Titelbild: swald Blassnig, Mit Verlaub, Herr O!In zivilisierten Gesellschaften hat der Staat das Gewaltmonopol, und damit möglichst viele Staatsbürger davon kosten können, gibt es in manchen Staaten eine Wehrpflicht.

Mit dieser zwangsweisen Eingliederung in die Welt der Gewalt geraten viele sogenannte Präsenzdiener in einen Konflikt. Im Schulbereich nämlich haben sie das gewaltfreie Regeln von Konflikten gelernt, und jetzt sollen sie Hemmungen abbauen, wenn es ums Losschlagen geht.

Oswald Blassnig erzählt aus der Ich-Perspektive von diesem Dilemma. Verschärft wird sein Lehrstück noch dadurch, dass es sich beim Erzähler um einen spät einberufenen Lehrer handelt, der bislang pubertierende Osttiroler hat zähmen müssen und jetzt als Mittdreißiger selbst über Nacht soldatisch wild gemacht werden soll. Eine schizophrene Situation zwischen allen Stühlen!

Der Ich-Erzähler ist zwar in seiner Erregung ein wenig abgekühlt, immerhin spielen die Originalereignisse in den 1980er Jahren, die Wut über den Blödsinn, die Arroganz, die Selbstüberschätzung und die geistige Verwahrlosung der kommandierenden Protagonisten ist aber ungebrochen. Für seine Reminiszenzen wählt der Erzähler eine kluge Form, er wendet sich höflich mit Verlaub an Herrn O. Hinter dem O kann der Leser feinnervig einen Oberen vermuten, man kann ihn aber auch beim Wort nehmen: Oasch!

Während des Präsenzdienstes ohne Erklärung, Sinn und Notwendigkeit durchläuft der Erzähler die obligaten Stationen vom Nachtmarsch über den Schießstand über die Fetzenkammer bis hin zur Kantine. Überall ist ein brüllender Ton zu Hause und es geht nur darum, schlechte Stimmung zu verbreiten und allen alles zu vermiesen. Das geht so weit, dass man den Berg zu hassen beginnt, wenn man ihn bestiegen hat. Eine neue Erfahrung im Anderen Tirol, wie der Autor die spezielle Auskristallisierung Tirols als Osttirols bezeichnet.

Als der Erzähler einmal wegen einer privaten Bauverhandlung um einen Dienstgang ansucht, muss er zuerst in die Psychiatrie, um dort den Wunsch vorzutragen. Gut, dass ihm nichts fehlt, denn die Steigerung von Wahnsinn ist militärische Psychiatrie.

Wenn nicht gerade geschrien wird, versucht der Lehrer sein Schul-Imperium mit dem entgleisten Salutier-Imperium rund um den Exerzierplatz zu vergleichen. Und bei genauerem Hinsehen tun sich immer noch verdammt viele Parallelen auf, wiewohl sich die militärische und die pädagogische Welt angeblich immer verbessern.

Über die subjektiven Eindrücke und Niederschläge hinausgehend entwirft der Erzähler eine scharfe Analyse über jenes Gebilde, das er das Andere Tirol nennt. Allein, dass es gleich zwei Kasernen in Lienz braucht, um diese Heimatenklave niederzuhalten, stimmt ihn bedenklich.

Der Andere Tiroler ist mit Vorliebe ein Angepasster, wodurch seine Fantasien und Fähigkeiten sich im Mittelmaß festklammern, dort duckend ein Leben lang verharren, um nicht Gefahr zu laufen, vom allzu grellen Blickfeld eines öffentlichen Scheinwerfers ins Visier genommen zu werden. (37)

Aus der Abrechnung mit dem System „Herr O“ wird schließlich eine feine Analyse der geistigen Zustände des Anderen Tirol während der letzten vierzig Jahre. Vieles hat einfach damit zu tun, dass der Meter in Osttirol nur achtzig Zentimeter hat. Aber das ganze System, ob schreiend oder dozierend, lässt sich nur aushalten, wenn die Angeschrienen gesund sind. „Und die Struktur im Anderen Tirol ist gesund!“ – Eine aufregende Geschichte Osttiroler Aufklärung.

Oswald Blassnig, Mit Verlaub, Herr O! Wehrhafte Reminiszenzen
München: Vindobona Verlag 2017, 175 Seiten, 21,50 €, ISBN 978-3-946810-31-5


Weiterführende Links:
Vindobona Verlag: Oswald Blassnig, Mit Verlaub, Herr O!
Lexikon Literatur Tirol: Oswald Blassnig

 

Helmuth Schönauer, 17-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Oswald Blassnig

Buchtitel

Mit Verlaub, Herr O! Wehrhafte Reminiszenzen

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Vindobona Verlag

Seitenzahl

175

Preis in EUR

21,50

ISBN

978-3-946810-31-5

Kurzbiographie AutorIn

Oswald Blassnig, geb. 1948 in Lienz, lebt in Lienz.