Siegfried Nitz, Aber wir hatten dich doch alle so lieb

siegfried nitz, aber wir hatten dich doch alle so liebSeit Kafka wissen wir, ein echtes Gerichtsverfahren dauert ein Leben lang und endet in einem Steinbruch oder als offene Ratlosigkeit.

Siegfried Nitz schickt eine Heldin in ein jahrzehntelanges Gerichtsverfahren, die alle Kafka-Zutaten mitbringt, die Protagonistin Margreth wird plötzlich Alleinerbin, ihr Konkurrent Helmuth büßt eine langjährige Haftstrafe ab, dann kommt er raus und will sein Erbe. Margreth hat neben Liegenschaften und Kohle ein verschnürtes Papierbündel geerbt, das sie nur im Notfall öffnen soll.

Jetzt ist es soweit, die Anwälte wollen, dass sie das Erbe herausrückt. Margreth freilich vertieft sich noch einmal in die Fakten, die scheinbar alles erklären.

Beide Weltkriege hinterlassen im Familiengeflecht unheilbare Wunden. Nach dem Ersten Weltkrieg kommt der eine Stammhalter zu spät zurück, da ist seine Frau schon von einem Studenten schwanger und er kann das Kind Helmuth nur noch mit gequälten Augäpfeln als sein eigenes annehmen. Und dieser Helmuth kommt mit einer schweren Kopfverletzung aus dem Zweiten Weltkrieg zurück und hat allerhand Schübe im Kopf, sodass er immer bewaffnet herumrennen muss.

Es kommt, wie es kommen muss, Helmuth erschießt mitten im Fremdenverkehrsort zwei Angehörige und verletzt seine Frau schwer. Im Prozess geht es darum, ob er zurechnungsfähig ist oder nicht. Und wie, er kommt für zwanzig Jahre ins Gefängnis und als er wieder heraußen ist, beginnt der Kampf ums Erbe aufs Neue.

Eines ist sich Margreth beim Durcharbeiten der Papiere sicher, trotz all der schönen Floskeln hat man den Täter zweimal in der Erbfolge kaltgestellt. „Aber wir hatten dich doch so lieb“ ist eine Phrase, die alles noch schlimmer macht. Die Erbin beginnt zunehmend selbst von diesem Fall aufgefressen zu werden, der eigentlich als harmlose Erbschaft begonnen hat. In einer stets wiederkehrenden Metapher sitzt sie am Talschluss vor einer Felswand und kann nur hoffen, dass Nebel die Aussichtslosigkeit vertuscht. (41)

Die Verschwommenheit des Falles setzt sich über alle Zeitschienen hinweg, es gibt offensichtlich eine Faktenlage, die kein Gericht dieser Welt aufarbeiten kann. Letztlich enden alle Gutachten und Nach-Gutachten in einer Endlosschleife der Ausgewogenheit. Die Helden wissen schon längst nicht mehr, wer Recht hat und wer nicht, und auch als Leser weiß man bis zum Schluss nicht, was man von der Sache halten soll.

Vordergründig scheint alles in einem Vergleich zu enden, aber das Grummeln im Magen der Heldin wird schon wieder heftig. Und auch der Leser legt den Roman ziemlich beunruhigt fort, auch in ihm grummelt diese schwere Familienangelegenheit unlösbar weiter.

Siegfried Nitz, Aber wir hatten dich doch alle so lieb. Roman
Bozen: Edition Raetia 2017, 120 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-88-7283-586-9

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Siegfried Nitz, Aber wir hatten dich doch alle so lieb
Lexikon Literatur in Tirol: Siegfried Nitz

 

Helmuth Schönauer, 01-03-2017

Bibliographie

AutorIn

Siegfried Nitz

Buchtitel

Aber wir hatten dich doch alle so lieb

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

120

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-88-7283-586-9

Kurzbiographie AutorIn

Siegfried Nitz, geb. 1949 in Brixen, lebt in Bozen.