Peter Giacomuzzi, asyl asyl

peter giacomuzzi asyl asylKaum ein Begriff der jüngeren Sprachgeschichte hat es so markant geschafft, vom Liebkind zum Bösewicht und retour zu mutieren, wie dieses in allen Tonlagen beeindruckende Wort Asyl.

Peter Giacomuzzi verwendet Asyl gleich als Doppelgarnitur, um die Wichtigkeit zu betonen und andererseits die semantische Transportkapazität zu erhöhen wie sonst im öffentlichen Personenverkehr üblich. Die knapp hundert Gedichte laufen wie ein lyrisches Tagebuch über den Bildschirm, der womöglich die üblichen Ereignisse zeigt, die Texte freilich handeln alle von diesem entgleisten Planeten, der vielleicht als Ganzes auf der Flucht ist.

Oft wird gar nicht mehr unterschieden zwischen den Schutzsuchenden und Schutzgebenden, weil sich die Zustände mehrmals am Tag ändern können. Zwischen März 2015 und Februar 2016 verändern sich die Wörter im Stundentakt, was eben noch verboten ist, kann am Nachmittag schon verwendet werden, was ein No-go ist, kann eine Woche später schon zu einer gefeierten Maßnahme werden.

In den Gedichten tauchen dann auch jene Schlüsselwörter auf, die vielleicht einmal der Zeit den Namen geben werden: Zaun, Boot, Rettungsring, Flut, Aufnahmestopp, Obergrenze.

In einem Zensurgedicht sind alle fatalen Wörter aufgezählt und politisch korrekt durchgestrichen. (8) Eine ähnlich schwarze Liste gibt es über jene Politiker, die eigentlich durchgestrichen gehörten, aber das Jahr über ständig die Meinung wechseln, sodass sie immer Oberwasser haben. (19)

Das lyrische Ich leistet sich über weite Strecken subtile Gefühle und schließlich auch subjektive Einschätzungen. Eine Familie mit dem Namen des Autors ist schon seit Jahrhunderten unterwegs und braucht täglich Asyl und wird dennoch nie heimisch. Im biographischen Abspann ist davon die Rede, dass der Autor ein Leben lang über den Brenner hin und her gesprungen ist wie der typische Tennisball, ständig von der anderen Seite zurückgeschlagen.

In dem großen Asyl-Strom geht als erstes die Persönlichkeit verloren, trotz der Fügung von der Einzelprüfung. Dieser Zustand überträgt sich auf die einzelnen Gedichte, die aufgeladen über Umweg-Bilder genau das ausdrücken, was in der Mitte des Erzählstroms nicht mehr erzählt werden kann.

drei tote ratten / auf der straße / bei st. charles / marseille // die anderen leben / lungern und lauern / und hoffen sich / zu enden // 080715 (47)

Allmählich verroht auch die Sprache der Dokumentation, aus dem Schutz einer ehemals großen Liebe treten die Verzerrungen von brutalem Sex heraus, was einmal ein Liebesgedicht hätte sein können, ist zu einem wilden Vögel-Gedicht verkommen. In ähnlicher Weise zeigt sich der Humanismus der Genfer Konvention plötzlich als bedrohlicher Berg von Schutzmaßnahmen, der mit brutal mit Floskeln abgearbeitet und verflacht werden muss.

Peter Giacomuzzis Texte sind alle mit einem Aufwühl-Datum ausgestattet, und die Botschaft lautet: So wild ist es damals zugegangen, aber bedenkt, was sich inzwischen wieder alles verändert hat! Asyl asyl sind Gedichte, die jeden Menschen verlässlich erreichen, so oder so.

Peter Giacomuzzi, asyl asyl. Gedichte
Zirl: Edition BAES 2016, 111 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-3-9504186-6-8


Weiterführende Links:
Edition BAES: Peter Giacomuzzi
Homepage: Peter Giacomuzzi

 

Helmuth Schönauer, 28-03-2017

Bibliographie

AutorIn

Peter Giacomuzzi

Buchtitel

asyl asyl. Gedichte

Erscheinungsort

Zirl

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Edition BAES

Seitenzahl

111

Preis in EUR

12,00

ISBN

978-3-9504186-6-8

Kurzbiographie AutorIn

Peter Giacomuzzi, geb.1955 in Bozen, lebt in Innsbruck.