Barbara Tilg, Den Silberfaden spinnen

Barbara tilg, den silberfaden spinnenBeeindruckende Bücher lassen der Leserschaft gar keine Zeit, über die Entstehungsgeschichte des Textes nachzudenken, sie sind einfach wichtig und da.

Barbara Tilg setzt dem poetisch-optimistischen Titel „Den Silberfaden spinnen“ eine beinharte Lebenswidmung entgegen. „Ich habe dieses Buch ist für alle geschrieben die krank waren oder sind. Ich möchte ihnen Mut machen, dass man wieder aufstehen und den Silberfaden des Lebens neu finden kann.“ (5) Durch diese Präambel kriegen die aufgegriffenen Themen, Bilder und Geschichten wie von selbst jenen stabilen Tiefgang, den es braucht, wenn man schon einmal einen Blick nach „enten“ geworfen hat, wie das im Volksmund so schön heißt.

Die Autorin verknüpft ihre Gedichte und poetischen Tagebücher zwischendurch mit unsterblichen Zitaten aus der Antike und stellt diesen flache Aussagen aus dem alltäglichen Business gegenüber. So hält ein Business-Heini eine Charity-Event-Ansprache vor dem Aufsichtsrat, und es wimmelt nur so von Worthülsen wie Zukunft, globalen Spielern und erschlossenen Märkten. An anderer Stelle setzt sich das lyrische Ich in ein entlegenes Tal ab, um endlich den Wörtern wie chillen, relaxen, promoten, flashen, updaten und downloaden zu entgehen. (49) Von einem Standpunkt der Gelassenheit aus gesehen wirken diese Alltagsvokabeln wie ein ferner Glitzerstreifen, der ins Leere blinkt.

Das lyrische Ich verwandelt sich indes in einen Meteoriten und fliegt durch andere Sphären und Gezeiten.

ich bin ein Meteorit / ein Gestein kosmischen Ursprungs / keine Angst, ich komme euch nicht zu nahe / ich werde an euch vorbeifliegen (53)

Am Boden reist das lyrische Ich bemerkenswerte Orte der Menschheit ab, Palmyra, das noch während der Zerstörung unsterblich bleibt, das Schwarze Meer, worin im Sinne einer Endmoräne der menschliche Schutt der Wanderungen und Invasionen abgelagert ist, Armenien, das während eines Liedes die Überlebenskraft eine Steineiche annimmt. Diese Gedichte erzählen eine Schöpfungsgeschichte der Menschheit und die einzelnen Tage darin sind Jahrtausende.

Als Anhang eines erzählenden Ichs sind zwei Prosaskizzen angefertigt, wo einmal die Erzählerin von jenem seltsamen Jahr erzählt, indem sich alles verändert hat. Dieses Jahr wird von Therapeuten später als Erschöpfung mit Reizüberflutung einstuft und die Erzählerin wird „dauerhaft heruntergefahren“. Dieser Bericht, halb Tagebuch, halb therapeutisches Protokoll, zeigt diesen Übergang, wo eine geschundene und überladene Seele wieder zu sich findet im Wesentlichen. In der abschließenden Erzählung „Tuffstein“ zieht sich der Held Matt auf sich selbst zurück. Als er alles gesehen hat, tritt die komplette Stille ein, ein Gesteinsbrocken hat ihn am Kopf getroffen.

Barbara Tilgs Texte sind von allem Schnickschnack befreit, sie treten unauffällig auf, beinahe wie ein Besteck, mit dem sich die Zukunft zerteilen lässt. Oder, wie es beim Gedicht „Schreibmittel“ heißt, als Tinte für die Ewigkeit.
 
Barbara Tilg, Den Silberfaden spinnen. Lyrik und Prosa
Innsbruck: TAK 2017, 128 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-900888-63-3


Weiterführender Link:
TAK: Barbara Tilg, Den Silberfaden spinnen

 

Helmuth Schönauer, 22-11-2017

Bibliographie

AutorIn

Barbara Tilg

Buchtitel

Den Silberfaden spinnen. Lyrik und Prosa

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

TAK

Seitenzahl

128

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-900888-63-3

Kurzbiographie AutorIn

Barbara Tilg, geb. 1963 in Zams, lebt in Landeck.