Alfred J. Noll, Wie das Recht in die Welt kommt

alfred noll, wie das recht in die welt komnmt„Wer will heute noch über das Recht diskutieren, Argumente auf ihre Prämissen überprüfen, Lebenszeit verausgaben, um nach Gründen für Recht und nach Gründen des Rechts zu suchen. Vom Recht ist nicht mehr die Rede, alle Welt ist nur noch an Gesetzen, Richtlinien, Verordnungen, Erlässen, Bescheiden, Urteilen und Weisungen interessiert. Es gibt keine Vorstellung von der notwendigen Differenz zwischen Ideal und Praxis.“ (S. 7)

Den Gründen und Ursachen des Rechts auf die Spur zu gehen und die Differenz zwischen Ideal und Praxis aufzuzeigen macht sich Alfred Noll in einem Abriss durch die Geschichte des Rechts auf den Weg. Dabei zeigt er detailliert und anhand zahlreicher Beispiele, wie sich die Vorstellung und Umsetzung von Recht von der steinzeitlichen Welt der Nomaden bis in die Zeit komplexer Städtestrukturen gewandelt hat.

In neun Kapitel geht Noll der Frage nach den Anfängen des Rechts und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Geschichte der Menschheit nach. Ausgangspunkt ist das antike Griechenland, wo sich die Begriffe für Recht und Gesetz im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet haben. Schon Platon scheitert letztlich bei seinem Versuch, die besten Gesetze zu finden, die „das Gute und Schöne, in den Handlungen der Bürger, die Gerechtigkeit, Besonnenheit und Tapferkeit bewirken.“ (11) Sein von Philosophen regierter Idealstaat erscheint uns heute als grauenhafte Diktatur. Weit realistischer setzt Aristoteles seine Auseinandersetzung über das beste Recht für die Bürger der Polis an, die er von Natur aus als gesellschaftliche Wesen betrachtet, für die es die beste Staatsform und das beste Recht als Verbindung von Naturrecht und gesetztem Recht zu finden gilt.

Die nächsten Kapitel gehen historisch wieder einen Schritt zurück. Zunächst in die Steinzeit, die Zeit der Jäger und Sammler, wo gezeigt wird, weshalb in diesen Gesellschaften kein Recht notwendig ist, sondern ein Minimalrepertoire an Verhaltensvorschriften zur sozialen Kontrolle ausreicht, um Konflikte zu verhindern und zu bereinigen. Grundlage dafür ist das minimale Eigentum, das in einer nomadischen Gesellschaft angesammelt werden kann.

Erst mit der Gründung von festen Siedlungen, mit dem Entstehen und Anhäufen von Besitz und der zunehmenden Arbeitsteilung wird es in einer immer komplexer werdenden Welt notwendig, die neuen Verhältnisse durch Gesetze zu regeln und zu schützen und diese Vorschriften und Regeln schriftlich festzuhalten. Dies ist auch die Geburtsstunde der Juristen und der Rechtswissenschaft, weil schriftliches Recht auch immer zu interpretierendes Recht ist. Das erste schriftliche Recht entsteht in Mesopotamien wo der Codex-Ur-Nammu und etwas später der Codex Hammurabi die auf Tontafeln festgehaltene Willenserklärung für Gerechtigkeit zum Ausdruck bringen.

Eine entscheidende Zäsur für die weitere Entwicklung des Rechts erfolgt bei den Römern, den „Rationalisten des Privateigentums“, was die Weichen für den weiteren Verlauf der Rechtsgeschichte bis in die Gegenwart entscheidend stellen wird. Es schafft bis heute „maßgebliche Rechtsfiguren“ um Eigentumsverhältnisse und Warenaustausch gesetzlich zu regeln.

Das römische Recht ist das »imaginierte Weltrecht des Abendlandes« Es wird meisterhaft in Frankreich, am langwierigsten in Deutschland rezipiert. (S. 105)

In die byzantinische Zeit fällt die Zeit der großen Rechtssammlungen, die ihre Schatten weit in die Zukunft werfen sollten, auch wenn sie für die eigene Zeit rasch ihre Grundlagen verlieren sollten.

Für das beginnende Mittelalter das durch die zunehmende Christianisierung, Völkerwanderung und den Zusammenbruch alter römischer Ordnungen gekennzeichnet sind, spielen Gesetze und Rechtsordnungen keine große Rolle mehr. Rechtsnormen und andere Richtlinien werden mündlich überliefert, z.B. in zahlreichen Sprichwörtern, die heute noch ein „natürliches“ Rechtsverständnis wiedergeben.

Weitere wichtige Abschnitte der Rechtsgeschichte sind Eike von Repgows Sachsenspiegel, der sich im Hochmittelalter im Heiligen Römischen Reich zunehmend auszubreiten beginnt und den regionalen Rechtsordnungen eine überregionale Verbindlichkeit anbietet. Das folgende Kapitel „Stadtluft macht frei – oder auch nicht“ zeigt das Kaufmannsrecht als Grundlage für das sich entwickelnde Stadtrecht auf.

„Ein deutscher in Italien“ stellt die zukunftsweisende Rechtsordnung Friedrichs II. in Siziien und Unteritalien vor, wo der Kaiser einen säkularen Staat einrichtet, wo die regionalen Rechtsgewohnheiten aufgelöst werden und ein einheitliches Rechts bestimmt wird. Recht und Gerechtigkeit sind Teil des sakralen Amtes des Herrschers. Das Gerichtswesen wird neu gestaltet und dem Klerus die Richter entgegen gestellt.

Im Abschließenden Kapitel „Das Recht der Menschen“ wird gezeigt, wie durch das Recht „Vernunftfähigkeit und Vernunft verbindlich“ gemacht werden. 1289 wird in Florenz erstmals ein Gesetz erlassen, das die „Veräußerung von Abhängigen, Hörigen oder Kolonen unter Strafe“ (S. 231) stellt. Das Gesetz enthält „wohl die erste explizite Menschenrechtserklärung der europäischen Rechtsgeschichte“ (232)

„Wie das Recht in die Welt kommt“ ist keine trockene wissenschaftliche Abhandlung zur Rechtsgeschichte, sondern ein philosophischer Essay über die wesentlichen Wendepunkte in der Entstehung und Entwicklung des Rechts bis in die frühe Neuzeit. Jedem Kapitel sind die verwendete Literatur hintangestellt, um den Lesefluss nicht zu stören.

Der Autor erweist sich als gekonnter Erzähler, der verschiedene historische Entwicklungen und Grundlagen in einen großen Rahmen einzubetten und zu ordnen versteht und den Leserinnen und Lesern die Ursachen und Voraussetzungen der Entstehung und Entwicklung des Rechts zu vermitteln weiß. Ein überaus empfehlenswertes Buch, in dem spannend und informativ aufgezeigt wird, wie eng Recht und Gesetz Teil der historisch sich ändernden Wirklichkeit sind und „abhängig vom Stand des Wissens von der Welt und von der gesellschaftlichen Organisation des Zusammenlebens“ (247) sind.

Alfred J. Noll, Wie das Recht in die Welt kommt. Von den Anfängen bis in die frühe Neuzeit
Wien: Edition Konturen 2018, 272 Seiten, 29,80 €, ISBN 978-3-902968-32-6


Weiterführende Links:
Edition Konturen: Alfred J. Noll, Wie das Recht in die Welt kommt
Wikipedia: Alfred J. Noll

 

Andreas Markt-Huter, 18-01-2019

Bibliographie

AutorIn

Alfred J. Noll

Buchtitel

Wie das Recht in die Welt kommt. Von den Anfängen bis in die frühe Neuzeit

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Konturen

Seitenzahl

272

Preis in EUR

29,80

ISBN

978-3-902968-32-6

Kurzbiographie AutorIn

Univ.-Prof. Dr. Alfred J. Noll wurde in Salzburg geboren und studierte Rechtswissenschaft und Soziologie. Er ist seit 1992 Rechtsanwalt in Wien und habilitierte 1998 in Öffentliches Recht und Rechtslehre und Gründer und (Mit-)Herausgeber des „Journals für Rechtspolitik“. Seit Herbst 2017 Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat und dort u. a. Mitglied des Justiz-, Verfassungs- und Wissenschaftsausschusses.