Hans-Ulrich Wiemer, Theoderich der Große

hans-ulrich wiemer, theoderich der große„Das Jahr 493 begann schlecht für die Einwohner Ravennas. Die Stadt war von der Außenwelt abgeschnitten. Lebensmittel waren kaum noch aufzutreiben und für viele unerschwinglich geworden, man hatte begonnen, alles zu essen, was sich kauen ließ, selbst Unkraut und Leder. […] Der Grund für diese Not war der Krieg, den die Könige Odovakar und Theoderich um die Herrschaft in Italien gegeneinander führten.“ (S. 15)

Das Ende der Herrschaft Odovakars und der Beginn der Herrschaft Theoderichs ist ebenso grausam wie bekannt. Wenn man den Worten den Geschichtsschreibers Johannes der Antiochener Glauben schenken darf, hat Theoderich seinen Widersacher eigenhändig mit dem Schwert erschlagen und bemerkt haben: „Nicht ein Knochen war in dem Schuft!“ (S. 15)

Hans-Ulrich Wiemers Biographie „Theoderich der Große“ nähert sich dem großen Herrscher der Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter in dreizehn Kapitel von verschiedenen Seiten an. Das 1. Kapitel steigt mitten im Kampf um Ravenna Ende Februar 493 n. Chr. ein, als Theoderich mit dem Sieg über Ravenna gleichzeitig zum Herrscher Italiens und damit über die Römer im westlichen Teil des Imperium Romanum aufsteigt.

Das zweite Kapitel „Theoderich im Spiegel zeitgenössischer Quellen“ geht zeitgenössischen Literatur über Theoderich nach und dem Bild, das diese von seiner Person und Herrschaft vermitteln. Dazu gehören z.B. der zeitgenössische Panegyricus auf Theoderich des Ennodius, der „Anonymus Valesianus“ oder die Historien des frühbyzantinischen Historikers Prokop. Aber auch die Selbstzeugnisse oder Selbstdarstellungen Theoderichs in den Königsurkunden des Cassiodor bilden ein wichtiges Quellenmaterial.

Einen Sprung in die Geschichtsforschung der Neuzeit bis in die Gegenwart macht das Kapitel „Wer waren die Ostgoten“, in dem die verbreiteten Deutungsmuster im Nationalismus des 19. Jahrhunderts in Frage gestellt werden, wo Deutsche, Germanen und Goten in eine Verwandtschafts- und Ahnenreihe gestellt worden sind. Die Vorstellung geht vor allem auf die Darstellung des Tacitus „De origine et situ Germanorum“ zurück, der die verschiedenen Stämme jenseits des Rheins unter der Bezeichnung „Germanen“ zusammenfasst.

Die folgenden Kapitel machen wieder einen Schritt zurück in die Zeit Theoderichs und klären zunächst das historische Umfeld für den Aufstieg des Gotenkönigs auf, wie z.B. der kurze Aufstieg des hunnischen Reichs unter Attila und der anschließenden Auseinandersetzung zwischen „pannonischen und thrakischen“ Goten, aus der am Ende Theoderich d. Große siegreich hervorgehen wird und damit die Grundlage für die spätere Eroberung Italiens schafft.

In den weiteren Kapiteln wird die Entwicklung des Weströmischen Reichs in der Spätantike bis zur Eroberung durch Theoderich gezeichnet, wobei die getrennte Herrschaft über die Goten und die Römer ausführlich dargestellt wird. Dabei wird gezeigt wie sich das Herrschaftskonzept des Königs im Spannungsfeld zwischen gotischen Kriegern und römischen Senatoren zu bewähren hatte. Aber auch schwierige Verwaltung des Reichs zwischen Zentrum und Regionen sowie der Regierungsstil des Königs und die Ursachen seiner Expansionspolitik werden ausführlich erläutert.

Die Kapitel „Ein goldenes Zeitalter? Italien unter gotischer Herrschaft“ und „Ein Ketzer als König: Religiöse Vielfalt und das Gebot der Rechtgläubigkeit“ zeigen die beginnenden Veränderungen der Übergangszeit zwischen Altertum und Mittelalter auf. Dazu zählt der zunehmende Verlust der Urbanität ebenso, wie das Ende der Sklavenwirtschaft und die beginnende Abhängigkeit der Bauern von ihren Grundherren. In religiöser Hinsicht zeichnete sich das Gotenreich durch Vielfalt aus, wo die katholische Mehrheit von den arianischen Goten, wo die „Gleichheit von Gottvater und Gottsohn“ im Zentrum stand, geduldet worden sind. Die Juden, die sich nicht im Schema der zwei Gruppen „Römer und Goten“ unterbringen ließen, wurden im Edikt des Theoderich unter den direkten Schutz des Königs gestellt.

Die letzten Kapitel beschäftigen sich mit dem Ende der Regierung Theoderichs des Großen sowie die Entwicklung des Gotenreichs nach seinem Tod bis zum Ende des Reichs nach Kriegen zwischen den Goten und dem Oströmischen Reich. Im abschließenden Kapitel „Theoderich der Große – Metamorphosen einer Gestalt“ wird das sich verändernde Bild Theoderichs im Laufe der Geschichte thematisiert, vom Gewaltherrscher bis zum erfolgreichen Herrscher über zwei getrennte Völker. Die Rezeption des Gotenkönigs reicht „Vom Höllensturz“ des „Ketzerkönigs“ Theoderich, in den Dialogen Papst Gregors des Großen über die „Rabenschlacht“ in der Dietrichsage bis zum Nibelungenlied oder der Figurensammlung Kaiser Maximilians I. in der Hofkirche. Vor allem aber der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts diente Theoderich als große Ahnengestalt des Germanentums.

Hans-Ulrich Wiemer gelingt es detailliert und mit viel Fachwissen das Bild eines Herrschers und seiner Herrschaft im Spannungsfeld der Übergangszeit zwischen Altertum und Mittelalter zu zeichnen. Neben einer ausführlichen Quellenkritik und einer Bewertung der unterschiedlichen Intentionen der Quellenautoren wird auch das Bild Theoderichs in der Geschichtsschreibung vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart kritisch beleuchtet.

Ein überaus bemerkenswertes Sachbuch, das neben einer ausführlichen Biographie Theoderichs auch das historische, politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und religiöse Umfeld der Wendezeit zum Mittelalter Zeit ausführlich und klar verständlich zur Sprache bringt. Eine überaus lesenswerte Biographie, mit zahlreichen Bildern und Karten, die allen historisch interessierten Leserinnen und Leser gerne empfohlen werden kann.

Hans-Ulrich Wiemer, Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer. Biographie, m. 46 Abbildungen und 17 Karten
München: C. H. Beck Verlag 2018, 782 Seiten, 35,00 €, ISBN 978-3-406-71908-0


Weiterführende Links:
C. H. Beck Verlag: Hans-Ulrich Wiemer, Theoderich der Große
Wikipedia: Hans-Ulrich Wiemer

 

Andreas Markt-Huter, 30-01-2019

Bibliographie

AutorIn

Hans-Ulrich Wiemer

Buchtitel

Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer. Biographie

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

C. H. Beck Verlag

Seitenzahl

782

Preis in EUR

35,00

ISBN

978-3-406-71908-0