Paolo Rumiz, Der Leuchtturm

paolo rumiz, der leuchtturmIn der Literatur gilt der Leuchtturm als der Höhepunkt der Schreibkultur. Einerseits ist so ein entlegener Turm der beste Ort zum Schreiben, andererseits nimmt die Schrift das Licht der Lampe auf und leuchtet anschließend quer über die Regale der Neuerscheinungen. Gute Literatur hat Leuchtturmfunktion, heißt es dabei etwas geschwollen formuliert.

Paolo Rumiz ist Reisejournalist im erweiterten Sinn, mal tritt er dabei als Kriegsberichterstatter auf, dann als Sozialreporter und zwischendurch als philosophierender Literat. Die Grenzen sind fließend, wie sich überhaupt ein kluger Gedankenfluss nie einschränken lässt.

Im Leuchtturm nimmt sich der Ich-Erzähler eine Auszeit, indem er irgendwo im Mittelmeer eine geheime Insel mit einem geheimnisvollen Leuchtturm aufsucht, um darauf drei Wochen lang zu schreiben. Er entpuppt sich dabei als hellwacher Beobachter der Welt, der seine Denk-Blöcke der Einsamkeit abringt, ohne deshalb in einen Aussteiger-Gestus zu verfallen. Im Gegenteil, er hat sein Kurzwellengerät mit und hört sich durchaus die absurden Ereignisse in der Welt draußen an, während er in seinem Leuchtturm mit Wetter, Wellen und Wind genug zu tun hat.

In einer Art Rahmenhandlung geht es darum, die Koordinaten der Insel nicht zu verraten, denn mittlerweile interessiert alle Navi-Besitzer nur mehr das GPS und nicht mehr der Name des Ortes.

Daraus folgt, dass die Satellitennavigation letzten Endes die Ortsnamen und auch die mit ihnen einhergehenden Erinnerungen unwiederbringlich zerstören, ihnen die Seele rauben wird. (95)

Der Erzähler will letztlich wie ein Jonas aus der Bibel im Innern des Leuchtturms sitzen und dabei auf die Außenwelt hören. Ein Bediensteter pflegt die seltsame Optik des Leuchtwerks, ein einäugiger Esel ist der heimliche König der Mini-Insel und in der Nacht hängen seltsame Anhänger vom Sternenfirmament. (Der gelernte Tiroler denkt bei Anhänger zuerst an einen Transit-LKW-Anhänger auf der Autobahn, ehe ihm die Bedeutung Schmuck und leuchtendes Anhängsel kommt.)

Insgesamt schreibt der Ich-Erzähler knapp dreißig Geschichten zusammen, von der Insel geht es hinaus in die Welt der Navigation und die Kunst der Seefahrt, von den Küsten bleiben scharfe oder weiche Linien, im Hinterland sitzen noch die Balkankriege mit ihren Erinnerungs-Minen, die Mythologie ist vielleicht die einzige Methode, diesem Empfindungskosmos mit Erzählungen gerecht zu werden.

Und dann gibt es kurze, elementare Windstöße des Erzählens, die einfach „Die Bora“ heißen. Allein wenn dieses Wort ausgesprochen wird, neigen sich oft schon die Bäume auf die Seite und bleiben ein Leben lang gegen die Windrichtung bockig stehen.

Paolo Rumiz erzählt, meditiert, berichtet und analysiert, letztlich wird die ganze Welt ausgeleuchtet, wenn der Leuchtturm funktioniert.

Paolo Rumiz, Der Leuchtturm. A. d. Ital. von Karin Fleischanderl [Orig.: Il ciclope, Mailand 2015]
Wien, Bozen: folio Verlag 2017, 156 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-85256-716-7

 

Weiterführende Link:
Folio Verlag: Paolo Rumiz, Der Leuchtturm

 

Helmuth Schönauer, 15-05-2017

Bibliographie

AutorIn

Paolo Rumiz

Buchtitel

Der Leuchtturm

Originaltitel

Il ciclope

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Folio Verlag

Übersetzung

Karin Fleischanderl

Seitenzahl

156

Preis in EUR

20,00

Kurzbiographie AutorIn

Paolo Rumiz, geb. 1947 in Triest, Reisejournalist und Schriftsteller, lebt in Triest.