Volker Leppin, Die fremde Reformation
„Dass Luther als Mensch des Mittelalters aufwuchs, daran zu denken fällt nicht leicht, wenn er immer wieder als Begründer der Neuzeit beschworen wird, erst recht im Vorfeld des Reformationsjubiläums.“ (S. 9)
Die Reformation wird immer wieder als große Zäsur für den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit betrachtet. Wie sehr Martin Luther mit seinem Glauben und Denken dennoch dem Mittealter verhaftet geblieben ist, zeigt Volker Leppin überaus anschaulich und beredt in seiner fundierten Monographie „Die fremde Reformation“.
Mit dem Titel „Die fremde Reformation“ kommt zum Ausdruck, dass viel an der Vorstellung eines religiösen Paradigmenwechsels mit der Reformation, so in den Anfängen der Reformation und im Denken und Handeln Luthers nicht stattgefunden hat. So wird gleich zu Beginn aufgezeigt, dass sich Luthers Frömmigkeit aus einer spätmittelalterlichen Frömmigkeit ableiten lässt, die den Glauben seines Beichtvaters Johann von Staupitz und vor allem auf die Mystik eines Johannes Tauler und Meister Eckhart zur Basis hat.
Erst aus Luthers mystischer Sünden- und Gnadentheologie und seiner Verbindung zu humanistischen Netzwerken entwickelt sich im Zuge zahlreicher Disputationen gegen die traditionelle spätmittelalterliche Scholastik ein theologischer Sprengsatz, der die Vorstellung von der Erwirkung der Sündenvergebung bei Gott ablehnt. Da der Mensch Gott durch keinerlei Taten und Handlungen beeinflussen, wird auch der in seiner Zeit blühende Ablasshandel vehement abgelehnt.
Erst als Luther in das Kreuzfeuer der kirchlichen Institutionen und des Papstes gerät, beginnt sich eine politische Spirale zu drehen, die auch das Denken Luthers zunehmend radikalisiert und am Ende zum Bruch mit Rom führt. Dabei wird die Auseinandersetzung mit der Papstkirche und dem Papsttum neben dem Umbau der Sakramentenlehre und der zentralen Bedeutung der Heiligen Schrift für den Glauben zu einem zentralen Merkmal der neuen Kirche.
Angeregt durch Luther aber durchaus eigenständig zeigen sich Entwicklungen, die parallel zur Reformation Luthers verlaufen, wie die Reformation Zwinglis oder Bewegungen, die neben der religiösen auch eine politisch-soziale Sprengkraft entwickeln wie unter Franz von Sickingen oder Andreas Bodenstein von Karlstadt.
Während sich diese Bewegung vor allem an das einfache Volk wenden, ersetzt Luther die Autorität des Papstes durch die Autorität der Fürsten, womit er den Herrschenden dieser Zeit die theologische Grundlage bietet, um sich dem wachsenden Einfluss Roms zu widersetzen.
Volker Leppin zeichnet detailliert den Werdegang von Luthers Denken und Glauben nach und zeigt auf, wie sehr dieser aus einer spätmittelalterlichen Mystik hervorgeht. Erst im Zusammenhang mit der späteren Konfessionsbildung wurde versucht, das Erbe der Mystik zu verdrängen. Die Anfänge von Luthers Denken und Motivation lässt sich auf die typisch spätmittelalterliche Spannung zwischen innerer und äußerer Frömmigkeit zurückführen.
„Die fremde Reformation“ bietet einen spannenden und fundierten neuen Blick auf die Anfänge der Reformation und rechnet mit zahlreichen Mythen- und Legendenbildungen der späteren Zeit, die in der Auseinandersetzung mit der Papstkirche und den anderen Konfessionsbildungen entstanden sind. Volker Leppin gelingt es in seinem überaus empfehlenswerten Geschichtsbuch, das Bild eines etwas anderen und vielleicht auch realistischeren Luther zu zeichnen und die Entwicklungen dieser Zeit in einem anderen Licht zu sehen.
Volker Leppin, Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln
München: C.H. Beck Verlag 2017, 247 Seiten, 22,60 €, ISBN 978-3-406-69081-5
Weiteführende Links:
C.H. Beck Verlag: Volker Leppin, Die fremde Reformation
Wikipedia: Volker Leppin
Andreas Markt-Huter, 09-04-2019