Miroslav Krleza, Die Fahnen

miroslav krleza, die fahnenDie wirklich wahnsinnigen Bücher dieser Welt kann man nicht rezensieren. Man kann nur eine Art Notizzettel der Ermunterung abliefern, dass sich die Sicht auf das eigene Leben verändert, wenn man so ein Buch liest.

„Die Fahnen“ von Miroslav Krleža lassen sich im doppelten Sinn des Wortes verstehen. Einmal sind es die patriotischen Tücher, die je nach Regierung und Regime ausgetauscht und frisch aufgehängt werden müssen, andererseits sind sie eine Vorstufe zu einem Roman, diese Fahnen weisen auf die Vorläufigkeit und Reparaturbedürftigkeit der Darstellung hin.

Bei den Fahnen kommen drei große Komponenten zusammen, einmal handelt es sich um einen Autor, der gewissermaßen staatstragend das politische Gebilde um Kroatien von der Monarchie über die Nazis, Jugoslawien bis zu seinem Zerfall begleitet hat. Zum zweiten handelt es sich um ein Stück Zeitgeschichte, wie nämlich aus einem Ableger in der Doppelmonarchie das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen entsteht, der Roman spielt also zwischen 1912 bis 1922. Und zum dritten sind die Fahnen eine spezielle Form des historischen Romans, wie man sie sonst kaum kennt.

Das Wesen des historischen Romans ist immer die Verbindung von allgemeinem Schicksal mit dem von Individuen und der Versuch, daraus eine historische Logik abzuleiten. Dabei gleicht das öffentliche Treiben jenem von Lava, es ist noch flüssig, weil es ja von Menschen gerade in Gang gehalten wird, andererseits ist es schon fest und starr, weil es schon in Zeitungsartikeln und Archiven abgelegt wird.

Bei Miroslav Krleža tritt eine ähnliche Fülle von Personen auf, wie wir sie aus Karl Kraus‘ letzten Tagen der Menschheit kennen. Während in den letzten Tagen oft der Optimist und der Nörgler die Sachlage auf die Reihe bringen, tun dies in den Fahnen Kamilo Emericki und sein Sohn. Beide sind auch historische Funktionsträger, der Alte unterwirft sich einem Amtsverständnis, wodurch er jenseits des persönlichen Glaubens als Beamter zu dienen hat. Der Junior streift immer im Widerstand und im Aufruhr an und muss vom Vater oft demütigend gerettet werden.

Der Giga-Roman ist auf diesen beiden Figuren aufgebockt, zu Beginn liest der Alte das Wesen des Ungarisch-Kroatischen Ausgleichs aus dem Jahre 1867 vor, am Schluss wird angekündigt: „Öffentlicher Vortrag von Dr. Kamilo Emericki Junior, Rechtsanwalt in Zagreb, mit dem Titel Über einige politische Fragen“.

Dazwischen wird recherchiert, besiegelt, telefoniert, räsoniert, spioniert, dass die Fetzen fliegen. Im Untergrund kursiert fallweise eine Zeitschrift „Flaggen“, die einen ganzen Beamtenapparat verunsichert, auch wenn sie der Chef aus Demenz abbestellt hat.

Man muss ein Faible für hochwohlgestellte Beamte haben, um den Reiz dieser Noten und Dokumente auskosten zu können. Und sonst gilt: Jedes Wort fällt auf weißes, unbelecktes Papier, denn über Kroatien am Ende der Habsburgerei wissen wir fast nichts, wir haben ja alles unter Sissi abgelegt.

Wenn es ein Buch gibt, das in die öffentlichen Büchereien gehört, dann sind es die Fahnen, sie sind wie geschaffen für den öffentlichen Diskussionsraum.

Miroslav Krleža, Die Fahnen. Roman in fünf Bänden, aus d. Kroatischen übersetzt von Gero Fischer und Silvija Hinzmann [Orig. Zastave, Knjige 1-5, Sarajevo 1979]
Klagenfurt: Wieser Verlag 2016, 2170 Seiten 75,00 €, ISBN 978-3-99029-201-3

 

Weiterführende Links:
Wieser Verlag: Miroslav Krleža, Die Fahnen
Wikipedia: Miroslav Krleža

 

Helmuth Schönauer, 09-08-2017

Bibliographie

AutorIn

Miroslav Krleža

Buchtitel

Die Fahnen. Roman in fünf Bänden

Originaltitel

Zastave, Knjige 1-5

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Wieser Verlag

Übersetzung

Gero Fischer und Silvija Hinzmann

Seitenzahl

2170

Preis in EUR

75,00

ISBN

978-3-99029-201-3

Kurzbiographie AutorIn

Miroslav Krleža, geb. 1893 in Zagreb, starb 1991 in Zagreb.