Lydia Steinbacher, Im Grunde sind wir sehr verschieden

lydia steinbacher, im grunde sind wir sehr verschiedenDas höchste Kompliment, das es in einer Beziehung geben kann, ist der Hinweis auf die Individualität der Beteiligten, die aber trotzdem ein gemeinsames Produkt zustande bringen.

So können Ethnien in einem Staat sehr verschieden sein und doch zusammenleben, die Autorin kann völlig anders sein als der Leser, und es funkt trotzdem, zwei Gerichte können süß und sauer sein und trotzdem auf einem gemeinsamen Teller Platz nehmen.

Lydia Steinbacher greift mit ihrem Eingangsgedicht „Im Grunde sind wir sehr verschieden“ so ein seltsames Verhältnis auf, wenn sich eine Libelle dem Krokodil verwandt fühlt und sich auf dem Schuppenpanzer niederlässt. Schwimmen und Fliegen gehen eine Symbiose ein und kommen zum erstaunlichen Ergebnis:

Wenn man sich selbst verwandelt hat, erkennt man auch den anderen. (7)

Um diese Nuancen, Veränderungen und Verschleifungen geht es in den 55 oft recht umfangreichen Gedichten, die durch zehn Brandmalbilder zwecks Besinnung verlangsamt werden. In den Bildern sieht man Zustände und Atmosphären, die sich mal als Strohdach, dann als Gesicht, Hügelkette oder Vogelflug zeigen.

Die Gedichte sind jeweils durch Inhaltsüberschriften markiert und zeigen Themen wie Dämmerungszone, Nachmittage im Keller oder Monate später. Richtig konkret verfestigen sich die Gedichte, wenn es um Pflanzen oder Geologie geht, hier nehmen sie beinahe den Charakter von Lehrgedichten an, um die Seele von Salbei zu zeigen oder generell die Archäologie eines Körpers.

Gedichte schaffen es, durch Aussparungen etwas zu sagen, was sich mit Wörtern nicht sagen ließe. Ein Muster dafür liefert die fehlende Saite (84), wo nach einer Abschiedsszene am Bahnhof jemandem eine Saite fehlt, welche die reisende Person mit Sehnsucht auffüllen muss.

Aus den lyrischen Gebilden, in denen es etwa um den Zyklus von Nomaden geht, in denen sie das Land durchstreifen, tauchen jäh markante Fügungen auf, wie GPS-Punkte auf einem sensiblen Navi.

Von den Menschen sind nur die Namen bekannt / die Lämmer rufen darum sehr verhalten (25)

Phänomene der Geographie, Rituale der Tier- und Pflanzenwelt oder kulturelle Zusammenkünfte machen sich plötzlich einen eigenen Kontext und erklären ihr Tun einer Welt, die für uns Leser erst allmählich aufgebaut werden muss. Wie in einem Inventarverzeichnis sind die Dinge ausgestellt und aufgeschrieben. Unter Sonstiges ist etwa nach einem schweren Doppelpunkt das Wertvolle abgelegt, Blumen.

Während das Eingangsgedicht von der Symbiose von Krokodil und Libelle etwas Leichtes, Helles verströmt, lässt das Schlussgedicht durchaus die Vermutung zu, dass nicht alles gelingen kann. „So hätte es nicht enden müssen“ (87) suggeriert, dass es auch andere End-Möglichkeiten gegeben hätte. Und gleichzeitig ist ein Seufzer dabei, der nach „schade“ klingt.

Zurück bleibt Küste / als ob es immer / enden müsste.

Lydia Steinbacher formt eine versöhnliche Welt, in der es sich weit über den Gedichtband hinausgehend gut verweilen lässt.

Lydia Steinbacher, Im Grunde sind wir sehr verschieden. Gedichte, mit zehn Brandmalbildern der Autorin
Innsbruck: Limbus Verlag 2017, 87 Seiten, 13,00 €, ISBN 978-3-99039-103-7

 

Weiterführender Link:
Limbus Verlag: Lydia Steinbacher, Im Grunde sind wir sehr verschieden

 

Helmuth Schönauer, 16-08-2017

Bibliographie

AutorIn

Lydia Steinbacher

Buchtitel

Im Grunde sind wir sehr verschieden. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Limbus Verlag

Illustration

Lydia Steinbacher

Seitenzahl

87

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-99039-103-7

Kurzbiographie AutorIn

Lydia Steinbacher, geb. 1993 in Waidhofen / Ybbs, lebt in Wien.