Rainer Mausfeld, Angst und Macht

bild: rainer mausfeld, angst und macht„Die historisch stets enge Beziehung von Angst und Macht soll dabei unter dem Aspekt behandelt werden, wie sich gesellschaftliche Machtverhältnisse in kapitalistischen Demokratien stabilisieren und sichern lassen. Die dazu erforderlichen Herrschaftstechniken müssen insbesondere dazu geeignet sein, das unauflösliche Spannungsverhältnis von Kapitalismus und Demokratie zu verschleiern.“ (S. 12)

In vier Beiträgen setzt sich Rainer Mausfeld mit gegenwärtigen Herrschaftstechniken auseinander, die in kapitalistischen Demokratien angewandt werden, um durch Angsterzeugung gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen, zu steuern oder zu stabilisieren und zu sichern.

Im Beitrag „Angst und Macht - Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ wird zunächst der Frage nach dem Wesen von Macht nachgegangen, um dem die drei Versprechen der Demokratie zur Kontrolle von Macht gegenüberzustellen: politische Selbstbestimmung, friedliche Lösung gesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Konflikte und größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst. Gerade die systematische Erzeugung von gesellschaftlicher Angst wird dabei als grundsätzliche Gefahr für die Demokratie beurteilt, weil sie die Entschluss- und Handlungsbereitschaft der Menschen lähmt.

Während in Diktaturen eine systematische Angsterzeugung offen ausgeübt wird, müssen in kapitalistischen Demokratien geeignete Techniken der Propaganda, des Meinungs- und Demokratiemanagements angewandt werden, um die grundsätzlichen Widersprüche zwischen Kapitalismus und Demokratie zu verdecken. Gesellschaftliche Angst lässt sich über das Rechtssystem, Schul- und Ausbildungssysteme sowie alle Systeme der staatlichen Macht erzeugen. Dabei hat der Neoliberalismus zur einer Prekarisierung der Lohnarbeit geführt, die keine materielle Existenzsicherung mehr bieten kann.

Der Beitrag „Traditionelle Wege der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ kritisiert die kapitalistische Eigentumsordnung, als „wesensmäßig mit der Erzeugung von Angst verbunden.“ (S. 25) Die Nichtbesitzenden sind vom erfolgreichen Verkauf der eigenen Arbeitskraft an die Besitzenden abhängig. Die daraus resultierenden Spannungen müssen durch verschiedene Techniken der Angsterzeugung unterdrückt werden wie z.B. die „Entformalisierung des Rechts“, die „Ideologie der Meritokratie“ und die „Psychotechnik der propagandistischen Erzeugung von vorgeblichen Bedrohungen“.

Der dritte Beitrag „Systematische Erzeugung gesellschaftliche Angst im Neoliberalismus“ geht den gegenwärtigen Erscheinungen gesellschaftlicher Entwicklungen nach wie der „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“, der „Ideologie der gesellschaftlichen Undurchschaubarkeit und Unbeinflussbarkeit“, der „Prekarisierung“ der Arbeitsverhältnisse, der „Ideologie des unternehmerischen Selbst“, mit der soziale Netzwerke aufgelöst werden sowie „Die neoliberale Traumatisierungsspirale“, die durch die Prekarisierung von Arbeit zum Verlust von Status und Planungssicherheit von Menschen führt, die sich ihr Versagen noch dazu selbst zuschreiben.

Im letzten Beitrag „Wie kann eine größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst gewonnen werden?“ werden Wege aufgezeigt, wie menschenwürdige Gesellschaften strukturiert sein müssen, die sich aus den Fesseln systematisch erzeugter gesellschaftlicher Gewalt befreien wollen. Dabei macht Mausfeld die private Kontrolle der Wirtschaft als das zentrale Problem einer demokratischen Gesellschaft aus.

Mausfeld setzt sich gezielt mit den Spannungsfeldern gegenwärtiger westlicher Demokratien auseinander, die er als Folge neoliberaler Politik und übersteigerten Wettbewerbs zwischen allen Bereichen der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik analysiert. Das zivilisatorische Gegenmittel zur Zerstörung der Lebensgrundlage durch den Neoliberalismus muss von unten kommen und die soziale Fragmentierung aufheben, um Solidarität und Gemeinschaftssinn als gesellschaftliche Grundlage wiederherzustellen.

Ein überaus empfehlenswertes und nachdenklich stimmendes Sachbuch, das sich kritisch mit gegenwärtigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen und Entwicklungen auseinandersetzt.

Rainer Mausfeld, Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien
Frankfurt a. Main: Westend Verlag 2019, 128 Seiten, 14,40 €, ISBN 978-3-86489-281-3

 

Weiterführende Links:
Westend Verlag: Rainer Mausfeld, Angst und Macht
Wikipedia: Rainer Mausfeld

 

Andreas Markt-Huter, 05-08-2019

Bibliographie

AutorIn

Rainer Mausfeld

Buchtitel

Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2019

Verlag

Westend Verlag

Seitenzahl

128

Preis in EUR

14,40

ISBN

978-3-86489-281-3

Kurzbiographie AutorIn

Rainer Mausfeld ist Professor an der Universität Kiel und hatte bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Wahrnehmung- und Kognitionsforschung inne. In seinen gesellschaftspolitischen Beiträgen beschäftigt er sich mit der neoliberalen Ideologie, der Umwandlung der Demokratie in einen autoritären Sicherheitsstaat und psychologischen Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements.