PISA 2018 – Leseleistung und Leselust bleiben unverändert niedrig

lesender bärSeit der 1. PISA-Studie im Jahr 2000 ist die Grundkompetenz „Lesen“ bereits zum dritten Mal Schwerpunkt der OECD-Studie, an der 2018 insgesamt 79 Länder teilgenommen haben. Während die gemessenen Kompetenzen im Bereich Lesen und Mathematik im Vergleich mit der PISA-Studie 2015 annähernd gleichgeblieben sind, lässt sich im Bereich Naturwissenschaften ein Rückgang erkennen.

Als Quintessenz der PISA-Studie im Bereich „Lesen“ kann festgehalten werden: Im Vergleich mit 2015 hat sich wenig verändert. Sowohl die Durchschnittspunktezahl als auch der Anteil der Spitzengruppe und der Risikogruppe sind annähernd konstant geblieben.

Gleich zu Beginn der Präsentation der Ergebnisse der PISA-Studie 2018 wird darauf hingewiesen, dass eine Vergleichbarkeit mit früheren Testungen nur mehr bedingt möglich sei. Zu sehr habe sich das Testdesign, die Skalierung aber vor allem die Durchführung des Tests verändert, die seit 2018 mit dem Computer statt auf Papier erfolgt.

Der Testbericht weist darauf hin, dass auch die nationalen Ergebnisse kritisch zu hinterfragen seien, nachdem von den 315 ausgewählten österreichischen Schulen nur 293 teilgenommen haben. Bei zwei Schulen lag die Teilnahmerate unter 25 %, womit sich im Endeffekt 291 Schule mit 6.473 Schülerinnen und Schülern an der PISA-Studie beteiligt haben. Dabei wurden die für den Test nicht erreichbaren Berufsschüler als fehlend gewertet. Ebenfalls von den Tests ausgenommen waren Schülerinnen und Schüler aufgrund geistig/körperlicher Beeinträchtigung, unzureichender Deutschkenntnisse sowie Schüler, welche die Schule verlassen haben. Insgesamt verzerren die Abwesenheiten und Ausnahmen die Ergebnisse eher zum Positiven. Die wirkliche Größe der definierten „Risikogruppe“ dürfte vermutlich höher liegen, als es die Testergebnisse anzeigen.

lesekompetenz im internatioalen vergleich
Diagramm: Markt-Huter

 

Österreich erreicht 2018 beim Lesen einen Mittelwert von 484 Punkten (2015: 485 Pkt.) und liegt damit im OECD-Durchschnitt (487 Pkt.). Die besten Ergebnisse erzielen die chinesischen Provinzen Peking, Schanghai, Jiangsu und Zhejiang (555 Pkt.), Singapur (549 Pkt.), Macau (525 Pkt.) und Hongkong (524 Pkt.). Estland erzielt mit 523 Punkten vor Finnland (520 Pkt.) und Irland (518 Pkt.) das beste Ergebnis innerhalb der EU. Am schlechtesten schneiden Bulgarien (420 Pkt.), Malta (448 Pkt.) und Griechenland (457 Punkte) ab. Unter den deutschsprachigen Ländern liegen Südtirol (505 Pkt.) und Deutschland (498 Pkt.) deutlich vor Österreich, während die Schweiz (484 Pkt.) den gleichen Mittelwert wie Österreich erreicht.

Im Vergleich zwischen den Schülerinnen und Schülern innerhalb Österreichs lässt sich festhalten, dass die 5 % der besten Leseleistungen im Durchschnitt 641 Punkte erzielen konnten, während die 5 % der schlechtesten Leserinnen und Leser auf durchschnittlich 318 Punkte kamen.

Der Lesen-Spitzengruppe mit Level 6 (0,7 %) oder Level 5 (6,7 %) werden insgesamt 7,4 % der getesteten Schüler zugeordnet. Mit ca. 24 % (Level 1a: 16,3 %, Level 1b: 6,4 %, Level 1c: 0,9 % und unter 1c: 0,03 %) beträgt die Leser-Risikogruppe (unter Level 2) knapp ein Viertel aller Testpersonen.

Beim Vergleich der Lesekompetenz zwischen Buben und Mädchen liegt der Mittelwert bei Buben bei 471 Punkten, bei Mädchen bei 499 Punkten. Auch der Anteil der Risikogruppe zeigt zwischen Buben und Mädchen deutliche Unterschiede. Während 29 % aller Buben der Leser-Risikogruppe zugeordnet werden, sind es bei den Mädchen 18 %. Im Vergleich zur PISA-Studie 2015 hat sich in dieser Beziehung nichts geändert.

lesekompetenz und bildung der eltern
Diagramm: Markt-Huter

 

Zusätzlich zu den eigentlichen Tests wurden bei PISA-2018 auch speziell Fragen mit Bezug zum „Lesen“ gestellt, um individuelle, familiäre und schulische Faktoren zu betrachten, die Einfluss auf die Lesekompetenz zeigen können. Der Aussage, dass Lesen zu den liebsten Hobbys gehöre, stimmten nur 28 % ganz oder eher zu. 28 % reden gerne mit anderen über Bücher, aber 53 % lesen nur, wenn sie müssen, 35 % halten Lesen für Zeitverschwendung und 53 % lesen nur, um Informationen zu erhalten. An der Lesefreude hat sich im Vergleich zu den vorangegangenen Studien seit 2000 nichts verändert.

Ebenfalls deutlich erkennbar ist der Zusammenhang zwischen der Bildung der Eltern und der Leistung der Schülerinnen und Schüler.

Eltern mit …

  • Pflichtschulabschluss: 420 Pkt.
  • Lehre/BMS/Meister: 473 Pkt.
  • Matura: 491 Pkt.
  • tertiäre Ausbildung: 509 Pkt.

Deutliche Unterschiede zeigen sich auch zwischen Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund.

  • SchülerInnen ohne Migrationshintergrund: 500 Pkt.
  • SchülerInnen 2. Generation: 446 Pkt.
  • SchülerInnen 1. Generation:421 Pkt.

Dabei zeigt die Befragung, dass durchschnittlich nur 26,2 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu Hause überwiegend deutsch sprechen, wobei der Unterschied zwischen Jugendlichen der 2. Generation mit 27,6 % und der 1. Generation mit 23,7 % relativ gering ist. Im Vergleich dazu sprechen in Deutschland 38 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu Hause überwiegend deutsch.

leseleistung österreichvergleich
Diagramm: Markt-Huter

 

Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Testung der Lesekompetenz

Als Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) berücksichtigen die Tests wirtschaftsrelevante Faktoren ganz besonders. Die neuen Testgrundlagen sind speziell an die Entwicklungen und Veränderungen in Theorie und Praxis angepasst worden, was eine Vergleichbarkeit mit früheren Studien nur mehr bedingt zulässt. So wurde auf die Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) damit reagiert, dass die Tests nun computerunterstützt durchgeführt werden. Dies soll dem Umstand Rechnung tragen, dass Lesen verstärkt in digitalen Medien und in Form digitaler Texte erfolgt. Lesen wird in diesem Sinn sehr breit gefasst und geht weit über Literatur und Sachtexte hinaus.

Auch die Definition von Lesekompetenz wird diesen neuen Erfordernissen angepasst. Als entscheidende Fähigkeiten gelten fließendes Lesen, wörtliche Interpretation, Satzintegration, Extraktion zentraler Themen und richtiges Schlussfolgern aber auch das Bewerten des Wahrheitsgehalts von Texten, die Suchen nach Informationen, das Lesen aus mehreren Quellen sowie das Integrieren und Verbinden von Informationen aus mehreren Quellen.

Für die Erfassung der Lesekompetenz kommen neue Technologien und Szenarien zum Einsatz. PISA 2018 verwendete erstmals ein adaptives Testdesign, bei dem Schülerinnen und Schüler, je nachdem ob die vorhergehenden Aufgaben richtig oder falsch beantwortet worden sind, in weiterer Folge Aufgaben mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad erhalten. Sie werden damit gleich zu Beginn einer bestimmten Kompetenzgruppe mit eigenem Schwierigkeitsgrad zugeordnet. Das wirft wiederum die Frage auf, ob damit nicht das, was getestet werden soll, stillschweigend bereits vorausgesetzt wird?

pisastudie 2018 befragung zum leseverhalten
An der Lesefreude hat sich im Vergleich zu den vorangegangenen Studien seit
2000 nichts verändert. Mehr als die Hälfte der befragten Schülerinnen und
Schüler lesen nur, wenn sie müssen.
Diagramm: Markt-Huter

 

Nach der Verlagerung des Lesens von „gedruckten zu digitalen Texten“ sei es generell notwendig, die Definition von Lesekompetenz laufend zu aktualisieren und zu erweitern.

Darüber hinaus müssen Leser/innen im digitalen Zeitalter auch einige neue Fähigkeiten beherrschen. So müssen sie zumindest minimale IKT-Kenntnisse haben, um Geräte und Anwendungen zu verstehen und zu bedienen. In vielen Teilen der Welt ist daher die digitale Lesekompetenz der Schlüssel dazu, die eigenen Ziele zu erreichen und an der Gesellschaft teilzuhaben.
(PISA 2018, S. 85)

Seit dem Beginn der standardisierten Messung von Schülerleistungen durch die PISA-Studien übernimmt zunehmend die OECD und damit die Wirtschaft und nicht mehr die Politik die Aufgabe „Kompetenzen“ zu definieren und zu bestimmen, welche Fähigkeiten und Inhalte in Schulen vermitteln werden sollen. Pädagogische und soziale Aspekte des Zusammenlebens, aber auch kulturelle, politische, ethische und ästhetische Zugänge zum Lesen erscheinen im Vergleich mit wirtschaftlichen Interessen immer mehr als zweitrangig.

 

Weiterführender Link:
bifie: PISA 2018 - Grundkompetenzenam Ende der Pflichtschulzeitim internationalen Vergleich

 

Andreas Markt-Huter, 06-12-2019

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