Adalbert Köllemann, Der Mulimarschall

Buch-Cover

Lausbubengeschichten haben es so an sich, dass sie ununterbrochen stattfinden müssen.

Der Ich-Erzähler hat daher ein sehr aufregendes Leben hinter sich, obwohl er in Innsbruck geboren ist, was ja meist einen heftigen Lebenslauf ausschließt.

Der erzählende Lausbub lebt in den dreißiger Jahren zuerst in Innsbruck. Höhepunkt dieser Epoche ist ein saftiger Sturz in eine echte Innsbrucker Jauchengrube, naturgemäß im Sonntagskleid ausgeführt. Sonst besteht das Aufregende aus Geschäften und Handwerkern, die alle in Zeiten der Wirtschaftskrise vor sich hin dümpeln aber dem Kind jede Menge schöne Erlebnisse verschaffen.

Als der Lausbub siebeneinhalb ist, zieht die Familie nach Südtirol. In Mals versucht sich der Vater als Schneider, während der Erzähler erst einmal seinen Status definieren muss. Jede Menge Raufereien und Schlägereien erfüllen die Tage, als besonders sinnstiftend erweist sich dabei das Leitmotiv: ?Zruckgebn isch Christenpflicht!?

Nach diesem Motto wird politisch alles heimgezahlt, was sich in einer undefinierten Heimat irgendwie heimzahlen lässt, und auch die Kinder watschen sich gegenseitig mit Wonne durch die atmosphärisch dünn gestalteten Tage.

Die Italiener bauen in Mals das Militärwesen aus. Wo Soldaten sind, ist immer viel Dummheit und folglich auch genug Zündstoff für lustige Streiche. Die Kinder kippen Materialwägen vom Gleis, helfen Soldaten beim Zigarettenschmuggel
und leiden unter dem Mulimarschall, der halb Muli, halb Marschall auf der Suche nach seinem Selbstbewusstsein alles niederpeitscht, was sich ihm in den Weg stellt.

Vater wird verhaftet und schikaniert, dann geht es wieder heim ins Reich, das in diesem Fall wieder Innsbruck ist. Ganz Innsbruck ist verwanzt, nicht nur im spionagetechnischen Sinn sondern auch durch echte Blutferkel, die alles aussaugen, was sich nächtens in die Innsbrucker Betten legt.

Die Südtirolheimkehrer müssen eine Zeitlang in Hotels Warteschleifen drehen, ehe ihre Sozialbauten fertig sind, und dann kommen schon die Bombentage und die Schüler werden ins Außerfern ausquartiert.

Vater stirbt bei der Partisanenbekämpfung, die Nachkriegszeit ist geistig auf das Organisieren von Nahrungsmitteln beschränkt, was Expeditionen zu den Bauern des Vinschgau erforderlich macht. Als letzten Streich gibt es eine Flucht vor einem homosexuellen Marokkaner, der in Besatzerkluft die Innsbrucker Kindheit zum Abschluß bringt. Eine Anstellung beim Elektrizitätswerk leitet voller Spannung in die Adoleszenz über.

In dieser Erinnerungsstimmung sitzen wohl auch heute noch Tausende und Abertausende müde Kinder aus den Dreißiger Jahren zusammen und erzählen sich das vorige Jahrhundert, während sie nur sachte von Südtiroler Bergsteigerliedern unterbrochen werden. Die ganze Geschichte verkommt dabei zu einem Lausbubenstreich.

Aber so ist vermutlich ohnehin die Geschichte. Die Menschen niedrigen Standes erfreuen sich an Mulimarschallen und fallen in Jauchengruben, die höheren Stände machen dabei Geschichte und grinsen in ihren Ansprachen wie herzige Lausbuben.

Adalbert Köllemanns Erzählungen sind lieb und altersweise. Die Größenordnungen sind ein bisschen verzerrt, das wird an der Entfernung der Erinnerung liegen oder auch an der überdimensionierten Abenteuerlust. Manches erinnert an Karl-May-Figuren, die mit zu breiten Hüten durch die geistig engen Täler Tirols reiten, sich dabei die Köpfe aufschlagen aber es gar nicht merken, weil es ja bloß ein Abenteuer ist.

Adalbert Köllemann, Der Mulimarschall. Lausbubengeschichten aus Nordtirol und
Südtirol.
Innsbruck: Berenkamp 2004. 128 Seiten. EUR 14,95. ISBN 3-85093-158-7.

 

Helmuth Schönauer 21-06-2004

Bibliographie

AutorIn

Adalbert Köllemann

Buchtitel

Der Mulimarschall. Lausbubengeschichten aus Nordtirol und Südtirol

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Berenkamp

Seitenzahl

128

Preis in EUR

EUR 14,95

ISBN

3-85093-158-7

Kurzbiographie AutorIn

Adalbert Köllemann, geb. 1929 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.