Lina Hofstädter, Erinnerungen an die Natur

lina hofstädter, erinnerungen an die naturDie noch lebenden lyrischen Ichs haben eines gemeinsam: Während ihrer Lebenszeit ist die Natur so ziemlich verschwunden, so dass sie auch als lyrische Anrufung nur mehr als Metapher, nicht aber mehr als konkrete Gegebenheit besungen werden kann.

Lina Hofstädter umgeht diesen Konflikt zwischen ausgestorbener Natur und ungebrochener Sehnsucht danach, indem sie von Vorneherein die Natur als Erinnerung installiert. Nicht der Mond ist das Motiv, sondern unsere Erinnerung daran, wie wir ihn seinerzeit angehimmelt, angepöbelt und ihm angetrunken zugejubelt haben.

He, Mond! / Wie hängst du zwischen / Hügeln ab! / Volltrunken, fett / Im eigenen Licht! / Welch Wunder an / Balance! (142)

In dieser angeheiterten Stimmung drängt sich ein frecher Jugendsound in den Vordergrund, der Mond wird zum Kumpel, das Freche liegt in der Zumutung, dem Mond einen Fetzen umzuhängen, wo man vielleicht selber einen hat.

Nicht nur die Natur ist ständig im Rückzug, auch die sogenannte gepflegte Sprache ist nie mehr das, was sie einmal gewesen ist, und das geht schon seit Jahrhunderten so. Spätestens die Rechtschreibreform hat alte sprachliche Übereinkünfte über den Haufen geworfen, so dass man jetzt lesen und schreiben und sagen kann, was der Schnabel hergibt. Auch schmerzhafte Konjugationen sind schon erlaubt, statt gebiert sagt man jetzt gebärt, was alte Lyriker zum Staunen bringt.

Feuer und Stein / Ungleiches Paar / Zerstört und /Gebärt / Alle Welt. (10)

Immer ist ein Filter vorgeschoben, die Erinnerung greift meist abmildernd ein, wenn die Bilder hart sind wie eine journalistische Nachricht. So ist der Name Fukushima kaputt für jede Idylle, in seinem semantischen Umfeld gibt es kein Fortkommen mehr. Dennoch ist vielleicht die Lyrik der erste Weg zur Rehabilitation. Wie nun, wenn Fukushima einfach ein klingender Name für ein Gedicht wäre?

Frühling in Fukushima // Vergifteter Himmel / Die Kirschblüten fallen / Auf kalten Boden. / Wer kehrt diesen / Verzweifelten Frühling / Je zusammen? (126)

Überhaupt testet das lyrische ich, ob die alten Bilder einer harmonisch gedachten Natur, noch passen, ob wir uns darin einordnen können wie in den Strom einer Ameisenstraße, oder ob wir nicht eher auf das Einsetzen von Sirenen warten, wenn es am Himmel zu krachen beginnt und unser Hab und Gut bedroht ist? - „Wer rettet den Frühling vor uns Menschen?“ Überall knistert es, wenn ein Bild angesprochen wird. Nur der Hund bleibt verlässlich, er sitzt seit Jahren zu Füßen und hockt tapfer seine Zeit ab.

Eines muss man der Natur lassen, so kaputt sie in den Winter schlüpft, so unversehrt treibt sie es im Frühjahr wieder. Das lyrische Ich schaut melancholisch auf den eigenen Körper, der nach dem Winter nicht mehr kommen wird, denn das menschliche Altern ist eine Einbahnstraße.

Auflösungen // Mein letztendlicher Körper / Altersweise aufgeschwemmt / Knochenknüppeldicke / Fleischbeschwer / Gehirnumwunden. // Ich gestehe: / Bin mal eine gewesen / Bin zwar noch / Was ich war / Bloß / Im vertrocknenden / Kern. (50)

Diesem Treiben der Natur setzt Kassian Erhart seine Holzschnitte entgegen, indem er mit dem Holz arbeitet, mit den Fugen, Rissen und Jahreskrümmungen. Schwarz-Weiß holt er Informationen aus dem Holz heraus und schremmt neue hinein. Ein beeindruckendes Beispiel ist etwa auf Seite 87 zu sehen, ein Röntgenbild zeigt einen Verlauf, nicht ein Organ. Lichter, chemische Reaktionen oder auch nur ausgerutschte Konturen einer Bergkante steuern zwei Zentren zu, werden umgelenkt und gebrochen, und verschwinden wieder mitten im Schnitt. Da ist etwas Japanisches drin oder wie Kassian Erhart über seine Arbeit sagt: Etwas Elementares, Bergisches.

Lina Hofstädter, Erinnerungen an die Natur. Lyrik, mit Holzdrucken von Kassian Erhart
Innsbruck: TAK Verlag 2018, 165 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-900888-65-7

 

Weiterführende Links:
TAK Verlag: Lina Hofstädter, Erinnerungen an die Natur
Wikipedia: Lina Hofstädter

 

Helmuth Schönauer, 29-08-2018

Bibliographie

AutorIn

Lina Hofstädter

Buchtitel

Erinnerungen an die Natur

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

TAK Verlag

Illustration

Kassian Erhart

Seitenzahl

165

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-900888-65-7

Kurzbiographie AutorIn

Lina Hofstädter, geb. 1954 in Lustenau, lebt in Sistrans.

Kassian Erhart, geb.1948 in Piller, lebt in Piller und Sistrans.