Rosmarie Thüminger, Sichelmondleben

Buch-Cover

In einer Atmosphäre, in der sich vom Bundespräsidenten abwärts alle scheiden lassen, die sich nur irgendwie trennen können, ist die "Geschiedene Gesellschaft" zum Markenzeichen der "Nuller-Jahre" des neuen Jahrtausends geworden.

Wenn die Scheidung der Normalzustand ist, was ist dann der klassische Familienbegriff noch wert, außer dass er in alten Geschichten und neuen Sonntagsreden vorkommt?

Rosmarie Thümingers Roman für Jugendliche hat dieses Auseinanderklaffen alter Wertvorstellungen und neuer Realität zum Thema. Für Verena beginnt das neue Leben ziemlich verhext. Aus der Sicht des Mädchens wird geschildert, was es heißt, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.

Einerseits beginnen Jugendliche ununterbrochen neue Lebensabschnitte, andererseits ist es doch etwas recht Komisches, wenn plötzlich der Schulweg ein anderer ist, die Wohnung im kleinen Kaff Innerau, statt in der Weltstadt Innsbruck liegt, und die finanziellen Rahmenbedingungen wie Kartoffeln aus der falschen Jahreszeit zusammengeschrumpft sind.

Man glaubt gar nicht, was sich alles verändert, wenn sich die soziale Struktur ändert. Oft sind es die Kleinigkeiten, wie dass liebgewordene Stellplätze für lieb gewordene Dinge verändert sind, dass plötzlich das Essen anders schmeckt oder der Nachmittag knackst, weil er plötzlich ganz neu und unstrukturiert auftaucht. Aber auch die handfesten Dinge neigen zu dramatischen Schüben. Mutter muss sich erst an die Arbeit in einem Kaff gewöhnen, Großvater packt den Lebertran der Nachkriegszeit aus und Vater schließlich liefert abwechselnd Sauforgien und pathologische Zusammenbrüche.

Letztlich weiß niemand mehr genau, warum eine Familie so oder so zusammenlebt. Ok, Vater war immer gewalttätig, aber ist das der Grund für alles? Es ist ein echtes Sichelmondleben, denkt sich Verena. Im Sichelmond sind die dunkle und die helle Seite gleichzeitig anwesend, das Gute und das Schlechte tauchen auf einer einzigen Erlebnisscheibe auf, die Veränderung und das Felsenfeste gehen in einander über.

Auch die graphische Gestaltung des Romans unterstützt dieses Leben, indem die Kapitel wie ein Abrisskalender zu absolvieren sind. Was immer auch geschieht, die zwanzig Kapitel laufen mit eisernem Überlebenswillen ab, man muss sich nur tapfer an die einzelnen Abschnitte halten, dann geht es irgendwie ins Freie.

Rosmarie Thümingers Roman spielt in jener Welt, die uns oft am wenigsten vertraut ist, nämlich im Alltag, wo die Figuren bis zum Hals im eigenen Leben stecken. Die Helden der Gegenwart sind alle Leserinnen und Leser, Du und ich. Die Geschichte ist spannend, weil sie vor der eigenen Haustür liegt. Und wer ein Sichelmondleben führt, muss reaktionsschnell sein wie ein Rallyefahrer, hinter jeder Kurve lauert eine Überraschung.

Rosmarie Thüminger, Sichelmondleben.
Wien: Dachs 2004. 175 Seiten. EUR 12,90. ISBN 3-85191-354-X.

 

Helmuth Schönauer 15-07-2004

Bibliographie

AutorIn

Rosmarie Thüminger

Buchtitel

Sichelmondleben

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Dachs

Seitenzahl

175

Preis in EUR

EUR 12,90

ISBN

3-85191-354-X

Kurzbiographie AutorIn

Rosmarie Thüminger, geb. 1939 in Laas, lebt in Innsbruck.